Herzen in Gefahr
Jeder Partner sollte seine eigene Unabhängigkeit bewahren. In guten Ehen wirkte sich das positiv auf die Beziehung aus, in schlechten war es eine Überlebensfrage.
Während sie die Auffahrt hinunterfuhr, betrachtete sie im Rückspiegel das Haus, das langsam hinter ihr zurückblieb. Ihr Leben lang hatte sie von einem solchen Haus geträumt. Und jetzt, da sie endlich in ihrem Traumhaus lebte, war sie unglücklich. Dabei hätten Keith und sie so viel aus ihrem Leben machen können. Ihre Ehe könnte mehr sein als ein nüchternes Zusammenleben. Irgendwann musste Keith sich entscheiden, ob und wie er diesem gemeinsamen Leben einen neuen Sinn geben wollte.
Den ganzen Tag hatte Keith daran denken müssen, wie bezaubernd Cathleen am Abend zuvor ausgesehen hatte. Es war ihm so schwergefallen, vor ihr – und seinen eigenen Gefühlen – davonzulaufen. Darüber hinaus waren ihm plötzlich Zweifel an seinem Verhalten gekommen. Tat er ihr überhaupt einen Gefallen damit? Eines stand fest: Sich selbst richtete er damit langsam, aber sicher zugrunde.
Vielleicht war der Zeitpunkt für eine Aussprache gekommen. Eine sachliche, nüchterne Diskussion konnte er bewältigen, zu mehr würde er sich wahrscheinlich nicht durchringen können. Er brauchte Cathleen, ohne sie wäre sein Leben sinnlos. Wie er in diese Abhängigkeit geraten war, wusste er nicht. Es war ganz einfach eine Tatsache, die er akzeptieren musste. Was ihm zu schaffen machte, war die Frage, ob sie ohne ihn auskommen konnte. Was hätte sie aus ihrem Leben gemacht, wenn sie frei und ungebunden gewesen wäre? Er hatte ihr jede Chance genommen, das herauszufinden.
Ja, sie mussten miteinander reden. Und nachdem er diesen Entschluss gefasst hatte, wollte er ihn auch auf der Stelle ausführen. Er ging in ihr Büro, und als er sie dort nicht fand, in den Innenhof, wo Rosa gerade die Geranien goss.
»Rosa, ist Cathleen oben?«
Rosa schaute kurz auf und widmete sich dann wieder ihren Blumen.
»Die Señora ist vor ein paar Stunden fortgegangen.«
»Fortgegangen?« Das ist doch kein Grund zur Panik, dachte er, obwohl ihm vor Angst fast der Atem stockte. »Wohin?«
»Das hat sie mir nicht gesagt.«
»Hat sie das Auto genommen?«
»Ich glaube ja. Keith, warte«, fügte sie nun hinzu, als er schlecht gelaunt gehen wollte.
»Ja?«
Lächelnd stellte sie ihre Gießkanne ab. »Du hast heute genauso wenig Geduld wie damals als zehnjähriger Junge.«
»Ich will nicht, dass sie allein ist.«
»Du lässt sie doch ununterbrochen allein.« Mutig begegnete sie seinem finsteren Blick. »Glaubst du, ich sehe nicht, was hier vorgeht? Deine Frau ist unglücklich. Und du bist es auch.«
»Cathleen geht es gut. Und mir ebenfalls.«
»Das hast du früher auch immer gesagt, wenn du mit einem blauen Auge nach Hause gekommen bist.«
»Das ist lange her.«
»Versuch nicht, dir etwas vorzumachen, Keith. Du kannst die Vergangenheit nicht vergessen. Genauso wenig wie ich sie vergessen kann. Wenn du dir eine Zukunft aufbauen willst, musst du erst mit der Vergangenheit klarkommen.«
»Warum sagst du mir das, Rosa?«
In diesem Moment tat sie etwas, das sie seit ihrer Kindheit nicht mehr getan hatte. Sie ging zu ihm hin, um ihre Hand an seine Wange zu legen. »Deine Frau ist stärker, als du denkst, mein Bruder. Und du besitzt nicht annähernd ihre Kraft.«
»Ich bin kein kleiner Junge mehr, Rosa.«
»Nein, aber damals warst du nicht so schwierig.«
»Ich war schon immer schwierig.«
»Weil unser Leben schwierig war. Aber du hast dir inzwischen ein besseres Leben geschaffen.«
»Vielleicht.«
»Deine Mutter wäre stolz auf dich gewesen. Bestimmt«, fügte sie hinzu, als er zurückweichen wollte.
»Das Leben hat ihr keine Chance gegeben.«
»Nein. Aber dir hat es eine gegeben. Und du hast mir eine gegeben.«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe dir Arbeit gegeben.«
»Du hast mir etwas geschenkt, was ich noch nie in meinem Leben besaß: ein richtiges Zuhause. Bevor du gehst, möchte ich dich etwas fragen. Warum lässt du mich hier wohnen? Sag mir die Wahrheit, Keith.«
Er wollte ihr keine Antwort darauf geben, aber sie hatte schon früher immer diesen direkten Blick gehabt, dem man nicht ausweichen konnte. Sie schaute ihr Gegenüber so lange an, bis sie ihre Antwort bekam. Und vielleicht schuldete er ihr die Wahrheit. Vielleicht schuldete er sie sich selbst. »Weil Mutter dich liebte«, sagte er. »Und weil du auch mir etwas bedeutest.«
Lächelnd wandte sie sich
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