Herzenhören
würde.
Der Prinz wollte hinüberschwimmen, aber er war noch kaum bis zu den Knien im Wasser, da kamen auch schon die Krokodile und rissen ihre großen Mäuler auf. Er konnte sich gerade noch ans Ufer retten. Wenn er schon nicht mit der Prinzessin reden konnte, so wollte er sie wenigstens betrachten.
Heimlich kehrte er von nun an jeden Tag zum Fluss zurück, ließ sich auf einem Stein nieder und blickte voller Sehnsucht hinüber zur Prinzessin. So vergingen Wochen und Monate, bis schließlich eines Tages eines der Krokodile auf ihn zuschwamm.
»Schon seit langer Zeit beobachte ich dich, mein lieber Prinz«, sagte es. »Ich weiß, wie unglücklich du bist, und ich habe Mitleid mit dir. Ich möchte dir helfen.«
»Wie solltest du mir helfen können?«, fragte der Prinz erstaunt.
»Steig auf meinen Rücken, und ich bringe dich an das andere Ufer.«
Voller Misstrauen betrachtete der Prinz das Krokodil.
»Das ist eine List«, meinte er. »Ihr Krokodile seid gierig und gefräßig. Ihr habt noch keinen Menschen lebend aus dem Wasser gelassen.«
»Nicht alle Krokodile sind gleich«, antwortete das Krokodil. »Vertraue mir.«
Der Prinz zögerte.
»Vertraue mir«, wiederholte das Krokodil.
Der Prinz hatte keine Wahl. Wollte er zu der schönen Prinzessin, musste er dem Krokodil glauben. Er stieg auf seinen Rücken, und es brachte ihn wie versprochen ans andere Ufer.
Die Prinzessin traute ihren Augen nicht, als der Prinz plötzlich vor ihr stand. Auch sie hatte ihn schon des Öfteren beobachtet und insgeheim gehofft, er würde einen Weg finden, einmal den Fluss zu überqueren. Der Prinz war verlegen und wusste nicht, was er sagen sollte. Er stotterte und verhaspelte sich bei jedem Satz, und bald mussten die beiden lachen, und die Prinzessin lachte, wie sie schon lange nicht mehr gelacht hatte. Als es an der Zeit war zu gehen, wurde sie ganz traurig und bat den Prinzen zu bleiben.
»Das kann ich nicht«, sagte er. »Wenn mein Vater erfährt, dass ich bei dir war, wird er voller Zorn sein. Bestimmt würde er mich einsperren, und ich könnte nie wieder allein an den Fluss. Aber ich verspreche dir, ich komme wieder.«
Das liebe Krokodil brachte den Prinzen zurück über den Fluss.
Am nächsten Tag wartete die Prinzessin voller Sehnsucht. Sie hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, da sah sie das weiße Pferd mit dem Prinzen. Auch das Krokodil war da und leistete seine treuen Dienste. Von nun an sahen sich der Prinz und die Prinzessin jeden Tag.
Die anderen Krokodile waren wütend. Eines Tages versperrten sie mitten im Fluss dem Krokodil und dem Prinzen den Weg. »Gib ihn uns, gib ihn uns«, schrien sie, rissen ihre Mäuler auf und schnappten nach dem Prinzen.
»Lasst uns in Ruhe«, brüllte das große Krokodil und schwamm, so schnell es konnte, den Fluss hinunter. Aber schon nach kurzer Zeit war es von den anderen umringt.
»Versteck dich in meinem Maul«, rief es seinem Freund zu. »Dort bist du in Sicherheit.« Es sperrte sein Maul auf, so weit es konnte, und der Prinz kletterte hinein. Keinen Augenblick ließen die anderen Tiere die beiden aus den Augen. Wohin sie auch schwammen, sie folgten ihnen. Sie warteten und warteten. Irgendwann musste der Prinz ja wieder zum Vorschein kommen. Aber das liebe Krokodil war geduldig, und nach mehreren Stunden gaben die anderen auf und schwammen davon. Das Krokodil kroch ans Ufer und öffnete sein Maul. Der Prinz bewegte sich nicht. Es schüttelte sich und rief: »Mein Freund, lauf an Land, lauf, so schnell du kannst.«
Der Prinz bewegte sich noch immer nicht.
Da rief auch die Prinzessin vom anderen Ufer: »Mein lieber Prinz, bitte, komm heraus.«
Es half nichts. Der Prinz war tot. Er war im Maul seines Freundes erstickt.
Als die Prinzessin dies erkannte, sank auch sie zu Boden, gestorben an gebrochenem Herzen.
Die zwei Könige beschlossen, ihre Kinder nicht zu beerdigen, sondern am Ufer des Flusses zu verbrennen. Wie es der Zufall wollte, geschah dies am selben Tag zur selben Stunde. Die Könige verfluchten und bedrohten einander und gaben sich gegenseitig die Schuld am Tod ihrer Kinder.
Es dauerte nicht lange, da loderten die Flammen, und die beiden Leichname brannten lichterloh. Auf einmal begannen die Feuer zu qualmen. Es war windstill, und zwei große, mächtige Rauchsäulen stiegen senkrecht zum Himmel empor. Und mit einem Mal wurde es ganz ruhig, die Feuer hörten auf zu knistern und brannten lautlos vor sich hin, der Fluss gluckste und gurgelte nicht mehr.
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