Herzensbrecher auf vier Pfoten
Frau, die an der gegenüberliegenden Wand hing.
Sie war keineswegs in London. Seit drei Tagen war sie nun schon hier und hatte nicht einmal damit begonnen, alles durchzusehen und den Haushalt aufzulösen, geschweige denn, sich die Testamentsabschrift noch einmal durchzulesen, die Gerald ihr gegeben hatte. Nur den Immobilienmakler hatte sie bisher verständigt, um den Wert von Haus und Grundstück schätzen zu lassen, und Val wegen ihrer Suche nach den verdammten silbernen Bürsten angelogen.
Rachel ließ ihren Blick lustlos durch das Zimmer wandern und fragte sich, ob wohl auch die schweren Möbel im viktorianischen Stil und der ganze sonderbare Plunder zur Wertbemessung des Hauses herangezogen wurden. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich jedoch schnell wieder auf die glutäugige Femme fatale an der gegenüberliegenden Wand. Ihre stolze Miene stach unter der aufgetürmten, rabenschwarzen Haarpracht hervor.
Vielleicht werde ich dieses Bild behalten, dachte Rachel. Die Frau sah ihr ziemlich ähnlich, wenn sie ihren braunen Augen ein volles Make-up verpasste. Unter dem Bild befanden sich eine schnörkelige Signatur sowie der Vermerk »Paris, 1966«.
Rachel fragte sich, wie spät es wohl war, obwohl es wahrscheinlich keinen Unterschied machen würde, da hier offenbar alle mit den Hühnern aufzustehen schienen. George Fenwick zum Beispiel war gestern Morgen um neun Uhr in der Früh vorbeigekommen, um ihr einen Vortrag darüber zu halten, wie außerordentlich wichtig es sei, ein paar der herrenlosen Hunde aus den Zwingern an neue Besitzer zu vermitteln. Zu dieser Uhrzeit war sie noch im Schlafanzug gewesen; Megan hatte sie geradezu mit Gewalt aus dem Bett zerren müssen, was für George jedoch kein Grund gewesen war, das Gespräch auf eine spätere Uhrzeit zu verschieben.
»Sie können es sich nicht leisten, sie hierzubehalten, wo sie sich nur vollfressen«, hatte er betont, während er sich überdas Frühstück hermachte, das Freda Shackley ihm vorsetzte. »Sie sind doch hier die PR-Expertin – für Sie kann es ja eigentlich nicht sonderlich schwierig sein, eine kleine Werbekampagne zu starten, um neue Herrchen für Ihre Schützlinge zu finden? Das ist nämlich genau das, was Dot gewollt hätte – ein neues Zuhause für ihre Hunde. Das gehört zu Ihren Pflichten als Nachlassverwalterin.«
»Ich werde es auf meine Liste setzen«, hatte Rachel schnippisch erwidert. Ihre Listen hatten mittlerweile eine epische Länge angenommen. Doch abgesehen von der Zeit, die sie stundenlang auf dem Bett lag und sich taub und gefühllos vorkam, hatte sie erst einmal auf Megans Vorschlag hin das Haus verlassen, um mit Gem über die Felder rund um das Haus zu stapfen. Während dieser Runde hatte sie all die brillanten und bösen Sätze eingeübt, die sie Oliver um die Ohren hauen würde, falls er es jemals wagen würde, sich hier blicken zu lassen.
Dabei war Rachel mehrere Male in Tränen ausgebrochen. Gem hatte zwar geschwiegen, aber nach der Rückkehr ins Haus zum ersten Mal seinen Kopf auf ihren Schoß gelegt.
Von unten ertönte Gebell, und die Haustür schlug zu, was die Ankunft der ehrenamtlichen Gassigänger ankündigte. In den kurzen Momenten, in denen sie nicht in Selbstmitleid zerfloss, hatte Rachel ein schlechtes Gewissen, weil sie Megan alles allein erledigen ließ. Als sie dann auch noch die Ehrenämtler mit ihren farbenfrohen Anoraks und Stiefeln erblickte, die in der Küche kurz auftauchten, bevor sie sich auf den Weg machten, und sich miteinander unterhielten, während die Hunde sie zum Park von Longhampton zogen und zerrten, verspürte Rachel noch sehnlicher den Wunsch, sich vor der Welt verstecken zu können. Alle Helfer waren so nett und sympathisch – und so mitfühlend, da sie angesichts des Todes ihrer Tante anscheinend so verzweifelt war, dass sie vor lauter Trauer das Bett hüten musste.
Das war das Schlimmste an ihrem gebrochenen Herzen: Sie konnte niemandem davon berichten, es war viel zu kompliziert. Hinzu kam, dass alles ihre eigene Schuld war; auf die verheerende Verwüstung, die sie angerichtet hatte, war sie nicht im Mindesten vorbereitet gewesen.
Was soll ich denn jetzt tun?, fragte sich Rachel und starrte ausdruckslos an die rissige Decke. Was soll ich bloß tun? Wohin soll das alles führen?
Leise klopfte es an ihrer Zimmertür.
»Rachel?«
Vor der Tür stand Megan und hielt eine Tasse Tee in der Hand, die sie Rachel jeden Morgen vorbeibrachte, um sie damit aus dem Bett zu locken.
»Rachel,
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