Herzensbrecher: Roman (German Edition)
Erfolg. Sobald sie entlassen wurde, war sie wieder mit denselben Freunden unterwegs. Sie hatte Maxine gestanden, dass sie einfach nicht clean bleiben konnte. Die Medikamente, die Maxine ihr verschrieb, hätten nun mal nicht die gleiche Wirkung wie das Zeug, das sie auf der Straße bekam. Seit zwei Jahren hatte Maxine befürchtet, dass ein Tag wie heute kommen würde.
In weniger als fünf Minuten war sie angezogen: Jeans, dicker Pulli, Slipper. Sie schnappte sich einen warmen Mantel aus dem Schrank, griff nach ihren Handschuhen und war im nächsten Moment auf dem Weg zum Aufzug. Ein Taxi war rasch gefunden, und nur fünfzehn Minuten nach Thelmas Anruf betrat Maxine das Krankenhaus. Thelma war Afroamerikanerin und eine der besten Psychiaterinnen, die Maxine kannte. Sie hatten gemeinsam in Harvard studiert. Im Laufe der Jahre hatten sie sich immer wieder gegenseitig vertreten und waren Freundinnen geworden. Maxine konnte sich beruflich und privat auf Thelma verlassen. Auf der Intensivstation ließ sie sich von ihr auf den aktuellen Stand bringen. Hilary lag immer noch im Koma. Die Medikamente schienen noch nicht anzuschlagen. Hilary hatte die Drogen genommen, während sie allein zu Hause war. Es gab keinen Abschiedsbrief, aber der war auch nicht nötig. Sie hatte Maxine mehrfach versichert, dass sie nicht am Leben hinge, im Gegenteil. Hilary litt sehr unter ihrer bipolaren Erkrankung.
Maxine las aufmerksam das Krankenblatt und sah Thelma erschrocken an. »Sie hat wirklich alles geschluckt«, stellte sie bestürzt fest.
Thelma nickte. »Ihre Mutter sagt, dass sich Hilarys Freund gestern von ihr getrennt hat, an Thanksgiving. Das war sicher keine Hilfe.«
Maxine schloss die Krankenakte. Die Ärzte hatten getan, was möglich war. Jetzt konnte man nur abwarten. Wenn Hilary nicht bald aus dem Koma erwachte, würde sie vermutlich einen dauerhaften Hirnschaden davontragen. Das wussten auch ihre Eltern. Noch stand nicht fest, ob sie überleben würde.
»Wann hat sie es getan?«, fragte Maxine, während sie mit Thelma den Flur entlangging.
Die Freundin wirkte müde und besorgt. Fälle wie dieser setzten ihr zu. In ihrer eigenen Praxis hatte sie keine so schweren Fälle, trotzdem vertrat sie Maxine gern. Es war immer wieder eine Herausforderung.
»Vermutlich schon ein paar Stunden bevor ihre Eltern sie fanden. Das ist das Problem. Das Zeug hatte ausreichend Zeit, sich durch ihren Organismus zu arbeiten. Deshalb hat das Naloxon wohl auch nicht mehr viel bewirkt.« Naloxon war ein Medikament, das die durch Opioide verursachte Wirkung teilweise aufhob. Voraussetzung war, dass es rechtzeitig verabreicht wurde. Dann entschied es über Leben oder Tod. Viermal schon hatte Hilary mit Naloxon gerettet werden können. Dass es dieses Mal nicht anschlug, bewerteten beide Ärztinnen als schlechtes Zeichen.
Maxine trat nachdenklich an Hilarys Bett. Das Mädchen wurde künstlich beatmet. Ihr Gesicht war aschgrau. Maxine erkundigte sich bei dem behandelnden Arzt nach ihrem Zustand. Er sagte, dass ihr Herz noch schlage, allerdings hatte der Monitor bereits mehrfach Rhythmusstörungen angezeigt. Die Fünfzehnjährige, die auf dem Krankenbett wie ein kleines Kind wirkte, gab kein Lebenszeichen von sich. Sie hatte ihr Haar schwarz gefärbt, und die Arme waren voller Tattoos. Hilary hatte stets den eigenen Kopf durchgesetzt, trotz der Bemühungen ihrer Eltern.
Maxine nickte Thelma zu, und gemeinsam gingen sie in den Warteraum zu den Eltern. Die Andersons waren bei Hilary gewesen, bis das Ärzteteam sie gebeten hatte, draußen zu warten. Es war für Eltern immer beängstigend, mit anzusehen, was mit dem Körper ihres Kindes angestellt wurde. Außerdem brauchten die Ärzte und Schwestern ausreichend Platz, um sich zu bewegen.
Angela Anderson weinte, und ihr Mann Phil hatte die Arme um sie gelegt. Auch er hatte geweint. Beide kannten diese Situation, aber das machte es nicht leichter. Sie schienen zu ahnen, dass sie Hilary dieses Mal vielleicht endgültig verloren hatten.
»Wie geht es ihr?«, fragten sie wie aus einem Munde.
Maxine setzte sich zu ihnen, und Thelma ließ die drei allein.
»Ihr Zustand ist unverändert. Ich habe gerade nach ihr gesehen. Sie führt einen harten Kampf. So wie immer.« Maxine lächelte die Eltern traurig an. Es schmerzte sie, das Leid in deren Augen zu sehen. Hilary war ein nettes Mädchen, das nicht genügend Kraft hatte, den Kampf gegen seine Probleme aufzunehmen. »Die Drogen, die sie genommen hat, waren mit
Weitere Kostenlose Bücher