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Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)

Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)

Titel: Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Saskia Berwein
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von seinem Stuhl auf. Die Wartezeit hatte seinen Kampfgeist offensichtlich noch befeuert. Jennifers Hoffnung, dass sie einen Pflichtverteidiger erwischen würden, der keine Lust hatte, sich wegen einer Befragung am späten Freitagabend besonders ins Zeug zu legen, hatte sich leider nicht erfüllt.
    »Na endlich!«, schimpfte Teubner. »Ich hoffe, der Richter hat Sie wieder zur Vernunft gebracht! Sie können doch nicht einen gebrechlichen alten Mann, der wegen seiner psychischen Erkrankungen unter Betreuung steht, mitten in der Nacht aus seinem Heim schleppen und …«
    Oliver Grohmanns Geduld mit dem jungen, aufstrebenden Kerl war längst aufgebraucht. Er legte das Fax mit dem soeben erwirkten richterlichen Beschluss auf den Tisch und brachte Teubner zum Schweigen, indem er mit der flachen Hand so heftig auf das Blatt schlug, dass der Knall selbst Jennifer aufschreckte. »Doch, kann ich sehr wohl. Hier steht es schwarz auf weiß.«
    Der Verteidiger pflückte das Papier vom Tisch und überflog es, nur um dann jede Zeile noch einmal langsam und gewissenhaft zu lesen, als ob er nicht schon auf den ersten Blick erkannt hätte, dass der Richter seiner Argumentation nicht gefolgt war.
    »Und ich betone es noch einmal«, grollte Grohmann, während er sich den drei Männern gegenüber an den Tisch setzte. »Herr Mertens ist psychisch vollkommen gesund. Diese Tatsache und der Umstand, dass sein Betreuer glücklicherweise keinerlei Einwände gegen eine Befragung hatte, haben den Richter überzeugt.«
    Der Anwalt senkte das Fax und warf Grohmann über den Tisch hinweg einen vernichtenden Blick zu. Während sich Jennifer den letzten verbleibenden Stuhl heranzog, rang sich der Staatsanwalt zu einem aufgesetzten Lächeln durch. »Wenn Sie sich beruhigt haben, können wir ja jetzt vielleicht endlich anfangen. Ihr Mandant würde längst wieder selig schlummernd in seinem Bett liegen, wenn Sie nicht so ein Theater veranstaltet hätten.«
    »Selig schlummernd möchte ich bezweifeln«, murmelte Jennifer kaum hörbar und legte die Akte auf den Tisch, die die nächtliche Befragung überhaupt erst notwendig gemacht hatte und die sie seit Stunden wie einen Schatz hütete.
    Der Ordner war gute fünf Zentimeter dick und hatte unter der langen Lagerung sichtlich gelitten.
    »Dann werden Sie mir ja jetzt hoffentlich erzählen, was es mit dieser mottenzerfressenen Akte auf sich hat«, knurrte der Verteidiger, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Oliver hatte Mühe, Carsten Teubner zu ignorieren und sich Wilfried Mertens zuzuwenden. Der alte Mann starrte noch immer regungslos auf die Tischplatte, ganz so, als existierte die Welt um ihn herum überhaupt nicht. Seine Augen verrieten jedoch, dass er sehr wohl bei ihnen in diesem Zimmer weilte, und zwar mit größter Aufmerksamkeit. Er schien gespannt zu war ten.
    Der Staatsanwalt deutete auf den Aktendeckel, dessen Beschriftung fast vollständig verblasst war. »Das ist Ihre Vergangenheit, Herr Mertens. Ihre Frankfurter Vergangenheit, als Sie noch Kühn hießen und eine Praxis im Ostend hatten.«
    Der alte Mann hob kaum merklich den Blick, um die Akte anzusehen, zeigte sonst aber keinerlei Reaktion.
    Es würde schwierig werden, seine Barrikaden zu durchbrechen. Doch es war nicht unmöglich.
    Oliver nickte Jennifer zu und überließ der Kommissarin die Bühne. Sie hatte Mertens’ Vergangenheit aufgedeckt und den internen Systemen das Aktenzeichen des vor Jahrzehnten eingestellten Ermittlungsverfahrens entlockt. Acht Stunden lang hatte sie sich durch die Archive in Frankfurt gekämpft, um diese eine Akte zu finden. Ihr gebührte die Ehre, den Mann mit dem Ergebnis ihrer Recherchen zu konfrontieren.
    Jennifer verschränkte die Hände auf dem Aktendeckel und versuchte vergeblich, den Blick des alten Mannes einzufangen. »Die folgenden Ereignisse sollten Ihnen bestens vertraut sein. Am 22. November 1982 zeigte Gerda Klein, die damals seit drei Jahren in Ihrer Praxis angestellt war, Sie wegen illegaler Operationen an. Operationen, die Sie in einem Hinterzimmer Ihrer Praxis durchgeführt und mit denen Sie Ihre Patienten schwer geschädigt haben. Einige sind an den Eingriffen sogar gestorben. Sie haben Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren operiert, die Sie sich in verschiedenen Waisenhäusern und Erziehungsheimen für diesen Zweck ausgesucht hatten. Unter dem Deckmantel sozialen Engagements untersuchten und behandelten Sie in diesen Häusern Ihre späteren

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