Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
die sie heute befragt hatten. »Danke für Ihre Zeit.«
Die Fotografin begleitete sie zur Tür, blieb aber abrupt stehen, als sie gerade die Hand nach der Klinke ausgestreckt hatte. Sie drehte sich zu den beiden Beamten um, und ihrem Gesichtsausdruck war anzusehen, dass ihr doch noch etwas eingefallen war. »Wissen Sie, wenn ich so darüber nachdenke … Haben Sie schon Jürgen Drach überprüft?«
»Jürgen Drach?« Jennifer runzelte die Stirn. Den Namen hörte sie zum ersten Mal. »Ist er Fotograf? Arbeitet er hier in der Umgebung?«
»Er hat ein Studio in Lemanshain.«
Die Kommissarin und der Staatsanwalt sahen sich überrascht an. Der Name befand sich nicht auf Moritz Sprengers Liste.
»Das ist uns nicht bekannt«, sagte Jennifer schließlich. »Sind Sie sicher?«
»Sie werden ihn bei einer einfachen Suche im Internet kaum entdeckt haben. Er arbeitet unter Pseudonym als Werbefotograf, ist einigermaßen erfolgreich und hat wohl seinen festen Kundenstamm. Von Eigenwerbung hält er jedenfalls nicht viel. Er fotografiert Produkte, also Gegenstände. Darin ist er auch wirklich gut. Aber …«
»Ja?«
»Er hat immer mal wieder versucht, Menschen zu fotografieren. Porträts, Events … Es gibt ein Internetforum, in dem wir Profis uns austauschen, und er hat gelegentlich Aufnahmen eingestellt.« Sie schüttelte den Kopf. »Er hat es nicht geschafft, Gefühle einzufangen. Ich bin eigentlich nur auf ihn aufmerksam geworden, weil er hier in der Nähe wohnt und arbeitet … Ihm wurde von etlichen Leuten geraten, bei seinen Produktaufnahmen zu bleiben.«
»Wie hat er darauf reagiert?«, fragte Grohmann.
»Irgendwann hat er sich nicht mehr zu Wort gemeldet. Er vertrug ganz offensichtlich keine Kritik.«
Jennifer hakte nach: »Halten Sie es für möglich, dass er diese Fotos geschossen hat?«
»Ich kenne ihn nicht, wir sind uns niemals persönlich begegnet.« Sie zuckte die Schultern. »Er ist mir nur gerade eingefallen … Aber es gibt viele Fotografen, die technisch versiert sind und trotzdem niemals ein ordentliches Porträt hinbekommen.«
Ihr war der Gedanke, jemanden möglicherweise fälschlich zu verdächtigen, sichtlich unangenehm. Doch Jennifer und Oliver begriffen, dass Jessica Kusche ihnen vielleicht tatsächlich gerade den Namen des Mannes genannt hatte, der noch mindestens sieben Morde plante und den sie so schnell wie möglich stoppen mussten.
»Wir werden Drach überprüfen«, sagte Jennifer und hatte Mühe, ihre Erregung zu verbergen. Ihre Müdigkeit war auf einmal wie weggeblasen. »Danke für Ihre Hilfe. Falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, rufen Sie uns bitte an.«
»Natürlich.« Die Fotografin schloss die Tür hinter ihnen.
Beim Auto angekommen, sagte Oliver: »Lass uns den Kerl genau überprüfen, bevor wir ihm einen Besuch abstatten.«
»Wolltest du nicht schnellstmöglich nach Hause?«, fragte Jennifer neckend.
»Das Bett kann warten.«
Jennifer musste unwillkürlich grinsen. »Dachte ich’s mir doch.«
Ich mache dir keinen Vorwurf. Ich wollte es. Es war in Ordnung … schön. Aber ich habe es mir anders vorgestellt. Ich wäre gerne vollkommen ich selbst gewesen, wach, klar, nicht zugedröhnt. Ich fühle mich bei dem Gedanken nicht wohl. Es war nicht richtig. Aber es war mein Fehler. Du konntest ja nicht wissen, welche Wirkung das Gras haben würde.
Hannah ging in Gedanken wieder und wieder durch, was sie sagen wollte. Unzählige Variationen hatte sie sich stumm vorgesagt, und trotzdem hörte sie aus ihrer inneren Stimme noch immer einen Vorwurf heraus. Sosehr sie sich auch anstrengte, sosehr sie es auch wollte, sie war zu enttäuscht, um ihren Zorn nur gegen sich selbst richten zu können.
Warum hatte sie das verdammte Dope bloß geraucht? Wieso hatte sie sich Jesaja hingegeben? Wie hatte sie nur so dumm sein können? Und die leise, bange Frage: Hatte er sie vielleicht doch nur benutzt?
Erst spät in der Nacht, als die Wirkung des Joints nachgelassen hatte, war ihr so richtig bewusst geworden, was passiert war. Sie hatte ihre Jungfräulichkeit verloren. In einem Zimmer, das der Kulisse eines Horrorfilms glich. Zugedröhnt. Vollkommen high. Nicht viel besser als der berühmte Autorücksitz in betrunkenem Zustand.
Hannah hatte alle ihre Vorsätze über Bord geworfen. Nur weil sie sich verknallt hatte. Und sie hatte den Preis dafür be zahlt.
Noch immer wollte sie nicht glauben, was in der Nacht zuvor geschehen war. Sie wünschte sich so sehr, dass ihre Erinnerung sie
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