Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
hätte doch merken müssen, dass sie mit diesen Leuten rumhängt«, widersprach er. »Wenn ich mitbekommen hätte, dass sie ausgerechnet an Tobias Fiedler geraten ist, dann …«
Jennifer schüttelte den Kopf. »Du hättest Hannah den Umgang mit ihm verboten, aber keine effektive Möglichkeit gehabt, das Verbot durchzusetzen, und dadurch alles nur noch schlimmer gemacht.«
Eine ganze Weile sah er nur schweigend aus dem Seitenfenster. Schließlich stimmte er ihr mit einem Seufzen zu. »Wahrscheinlich hast du recht … Vorwürfe bringen jetzt wohl nichts mehr. Weder gegen mich selbst noch gegen Hannah.«
»Eben. Sei einfach für sie da. Bedräng sie nicht.« Jennifer spürte einen Kloß im Hals. Erst jetzt bemerkte sie, wie nahe ihr die Unterhaltung ging. Sie kratzte zu stark an ihrer eigenen Vergangenheit, an ihren eigenen Erfahrungen.
Sie warf einen Blick auf die Anzeige des Navigationsgeräts. Noch sieben Minuten bis zu der Adresse, unter der Jürgen Drach gemeldet war. Zu viel Zeit. Sie musste das Thema wechseln. »Und was ist mit Jezebel?«, fragte sie. »Warum hast du sie ›Königin der Melancholie‹ genannt?«
Oliver kam der Themenwechsel offenbar nicht ungelegen. »Ihre Bilder sind verstörend … ein einziger Ausdruck von Trauer, Depression und Schwermut. Sie zeigen dunkle, manchmal zerstörte Landschaften, Menschen in tiefster Verzweiflung. Ich kann ihre Wirkung nicht beschreiben, aber wenn du ihre Werke länger betrachtest, fühlst du dich anschließend selbst betrübt, ohne zu wissen, warum.«
»Du magst die Bilder?«
Oliver zuckte die Schultern. »Jezebels Arbeiten sind faszinierend. Sie stellt außerdem noch Skulpturen her, die eine ähnliche Wirkung entfalten. Einen Großteil ihres Vermögens dürften die beiden Geschwister in den letzten Jahren mit Jezebels Nachbildungen von weinenden Engeln gemacht haben, wie sie in Doctor Who zu Ehren gelangt sind.«
Jennifer nickte. Sie kannte die britische Serie, allerdings nur dank Moritz Sprenger, der ein echter Fan war. »Und wieso beschäftigt sie sich mit diesen düsteren Themen?«
»Wahrscheinlich, weil sie ihr am ehesten entsprechen. Selina Fiedler hat einige Jahre ihres Lebens in der Psychiatrie verbracht. Depressionen, zeitweise mit psychotischen Symptomen. Mehrere Selbstmordversuche. Ihre Arbeit als Künstlerin scheint so eine Art Therapie für sie zu sein.«
Die Kommissarin runzelte die Stirn. Oliver hatte anscheinend Tobias Fiedlers komplettes Leben umgegraben. Hatte er bei dem Auftritt seiner Band etwas mitbekommen, was ihn zu der Überzeugung gebracht hatte, dass es besser wäre, den Mann aus dem Verkehr zu ziehen?
»Melancholie würde als Gegensatz zur Freude, die Horst Neubert verkörpern sollte, sehr gut passen. Außerdem ist Schwermut das nächste Gefühl auf der Liste«, bemerkte Jennifer. »Selina Fiedler wäre das perfekte Opfer.«
Der Staatsanwalt nickte. »Sie ist das perfekte Opfer. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass der Mörder jemand anderen im Visier hat. Trotzdem werde ich mich besser fühlen, wenn ich weiß, dass sie in Sicherheit ist.«
Dem konnte Jennifer nur zustimmen. Bei der dünnen Beweislage eine Überwachung durchzusetzen würde allerdings nicht gerade einfach werden. »Welchen Plan verfolgst du eigentlich bezüglich Drach?«
»Da wir bisher nur Spekulationen und verdächtige Zusammenhänge haben, sollten wir ihm nicht zu sehr auf die Pelle rücken. Ich will mir von dem Typen ein erstes Bild machen und ihm eine Botschaft senden. Falls er tatsächlich unser Mann ist, reicht es mir schon, wenn er kalte Füße bekommt und die Umsetzung seiner Pläne ein paar Tage aufschiebt. Bis wir mehr gegen ihn in der Hand haben … oder uns damit abfinden müssen, dass er es doch nicht ist.«
»Ich glaube nicht an so viele Zufälle.«
Oliver nickte. »Ich ehrlich gesagt auch nicht.«
»Wir könnten versuchen, ihn zu einer Reaktion zu provozieren. Wenn wir ihm zu nahe treten, könnte er sich zu einer Dummheit hinreißen lassen. Ein Fluchtversuch macht sich nicht besonders gut«, warf Jennifer ein. »Und ein Durchsuchungsbefehl und eine Nacht im Knast könnten reichen, um ihn zu überführen.«
Mehrere Sekunden lang musterte Oliver seine Kollegin von der Seite. Sie konnte spüren, wie er mit sich kämpfte. Er hätte den Vorschlag eigentlich kategorisch ablehnen müssen. Es war ein Spiel mit dem Feuer, denn sie konnten ebenso gut einen tätlichen Angriff oder Schlimmeres heraufbeschwören. Dann sagte er aber:
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