Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
für Beziehungsverbrechen statistisch gesehen eher ungewöhnlich war. Ein Gedanke, der Jennifer unterschwellig beunruhigte, den sie aber noch für sich behielt.
Der Staatsanwalt stieß ein Seufzen aus, als er die Beifahrertür zuschlug. »Ich fürchte, ihre Eltern werden uns auch nichts anderes erzählen können. Was meinst du?«
»Vermutlich nicht«, erwiderte Jennifer mit einem Kopfschütteln. Sie holte ihr Mobiltelefon hervor und startete den Internetbrowser. »Mein Vorschlag wäre ohnehin, unsere Pläne zu ändern und Larissas Eltern auf morgen zu verschieben.«
Oliver hatte bereits eine Ahnung, dennoch fragte er: »Wieso?«
»Ich will in diese Boutique. Wir müssen wissen, ob, und falls ja, wann und wie lange sie dort war. Und was sie gekauft hat. Vielleicht ist sie dem Täter dort begegnet, oder er hat ihr dort aufgelauert. Immerhin war sie Stammkundin in dem Laden.« Jennifer suchte nach dem digitalen Auftritt des Geschäftes und gab die Adresse in das Navigationsgerät ein. »Der Täter muss sie über einen langen Zeitraum hinweg verfolgt, beobachtet und das Ganze genau geplant haben. Er ist Larissa nicht zufällig irgendwo über den Weg gelaufen und hat kurz entschlossen entschieden, sie umzubringen.«
Sie hätte Oliver gar nicht überzeugen müssen. Er nickte ihr zu, während er sich anschnallte. »Einverstanden.«
Jennifer startete den Motor und ließ das Auto anrollen. »Ich habe übrigens die Gelegenheit genutzt und mir noch ein paar von Larissas anderen Kurzmitteilungen auf Melanie Schmidts Handy angesehen.«
Der Staatsanwalt stieß hörbar die Luft aus. Damit hatte die Kommissarin eindeutig eine Grenze überschritten. Was auch immer sie gelesen hatte, sie würden es nur mit gültigem Durchsuchungsbeschluss vor Gericht verwenden können. Und bisher hatten sie nichts in der Hand, was eine richterliche Verfügung auch nur im Entferntesten begründen würde. »Herrgott, Jennifer …«
Sie unterbrach ihn, denn seine Vorhaltungen in solchen Fällen kannte sie nur allzu gut. »Entspann dich. Ich habe nichts gelesen, was inhaltlich unseren Fall betreffen würde. Ich glaube allerdings nicht, dass die letzte SMS von Larissa stammt. Sie liest sich vollkommen anders als die anderen, irgendwie gestelzt.«
Oliver runzelte die Stirn und klaubte Jennifers Notizblock vom Rücksitz. Er las die Nachrichten, deren Wortlaut sie sich aufgeschrieben hatte, und kam zu demselben Schluss. »Dann hätte sie sich um viertel vor sieben bereits in den Händen ihres Mörders befunden.«
Jennifer nickte. »Und genau deshalb halte ich es für möglich, dass der Täter sie bei der Boutique abgefangen haben könnte.«
Im einsetzenden Berufsverkehr brauchten sie über eine halbe Stunde bis nach Bad Orb, einem Kurort, der sich in ein benachbartes Tal des Spessarts schmiegte. Jennifer parkte widerrechtlich in der Fußgängerzone der Altstadt, in der sich Geschäfte und Cafés aneinanderreihten, die größtenteils auf Kurgäste zugeschnitten waren.
Die nahegelegenen Spessart-Kliniken behandelten hauptsächlich Depressive und Übergewichtige, das Angebot an Kleidergeschäften fiel entsprechend unspektakulär aus. Mit einer Ausnahme. Die Boutique Coco & Giorgio lag in einer kleinen Seitenstraße, abseits der stark genutzten Hauptwege. Sie war derart abgelegen, dass sie ein Geheimtipp unter Eingeweihten sein musste.
Das Geschäft befand sich in einer umgebauten Scheune in einem Hinterhof, der als Parkplatz diente. In der Gasse gab es keinen Hinweis auf die Boutique, und im Schaufenster hing vor schwarzem Samt lediglich ein moderner silberfarbener Schriftzug mit dem Namen des Geschäfts. Kein Schild, keine Information zu den Öffnungszeiten.
Von außen konnte man nicht in die Geschäftsräume hineinsehen. Sie hätten ebenso gut vor einem Bordell stehen können. Jennifer probierte die schwarz gestrichene, alt aussehende Tür, doch sie war verschlossen.
»Merkwürdiger Laden«, kommentierte Oliver, während er seinen Blick über das Gebäude und die umliegenden Häuser schweifen ließ. »Standen im Internet keine Geschäftszeiten?«
»Die Seite war ähnlich einfach aufgezogen wie das Schaufenster. Schwarzer Hintergrund, silberne Schrift.« Jennifer hatte lediglich nach der Adresse gesucht und sich nicht um weitere Menüpunkte gekümmert. Immerhin gab es neben der Tür eine Klingel. Ein melodischer Ton drang stark gedämpft aus den Tiefen der Scheune, als sie den Knopf betätigte. Es folgte aber keinerlei Reaktion.
Sie klingelte
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