Herzensruhe
könnten.
Viele meinen, Schuld sei heute kein zentrales Thema. Doch die Therapeuten erleben in ihren Sprechzimmern, wie viele Menschen von Schuldgefühlen gequält werden. Schuldgefühle sind oft die Ursache für die Ruhelosigkeit. Man ist ständig auf der Flucht vor den eigenen Schuldgefühlen. Denn sie sind unangenehm. Sie zerren mir meine unschuldige Maske vom Gesicht. So muß ich immer neue Strategien entwickeln, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Eine Strategie besteht darin, mich immer zu beschäftigen, damit keine freie Zeit entstehen kann, in der die Schuldgefühle hochsteigen könnten. Viele klagen, daß sie soviel zu tun haben. Aber sie sind selbst schuld daran. Denn aus Angst, ihre Schuldgefühle könnten sich zu Wort melden, müssen sie immer etwas tun. Aber irgendwann werden sich die Schuldgefühle doch bemerkbar machen. Dann beginnt ein zweiter Mechanismus, der Entschuldigungsmechanismus. Man sucht nach immer neuen Gründen, warum man doch nicht schuldig ist, warum man nicht anders handeln konnte, warum der andere eigentlich schuld ist, daß man sich so verhalten hat usw. Aber je mehr wir nach Entschuldigungen suchen, desto mehr verfolgen uns die Schuldgefühle. So müssen wir immer
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neue Gründe finden, um uns zu entschuldigen. Das ist ein Kreislauf, der uns die innere Ruhe raubt.
Eine andere Strategie, mit seinen Schuldgefühlen umzugehen, besteht in der ständigen Suche nach Anerkennung. Weil man sich in seiner Schuld als unannehmbar erfährt (Paul Tillich), muß man daher das Angenommenwerden von vielen Menschen erfahren. Ich gehe von Seelsorger zu Seelsorger, von Therapeut zu Therapeut, nur um nochmals zu erfahren, daß ich ein guter Mensch bin, wertvoll, liebenswert, daß ich es doch gut meine und mich um ein gutes Leben bemühe. Ich erzähle zwar von meinen Problemen, aber nicht, um sie zu lösen, sondern um von neuem Zuwendung und Bestätigung zu erfahren. Aber auch wenn mich tausend Mensche n annehmen und mir ihre Zuwendung schenken, ich habe nie genug. Denn in mir sitzt das nagende Gefühl, doch nicht liebenswert zu sein. Die Schuldangst treibt mich immer weiter dazu, immer wieder von neuem Bestätigung zu suchen. Andere versuchen - wie Drewermann es ausdrückt - ihre Schuld dadurch abzuzahlen, daß sie sich im Dienst an den andern verausgaben, daß sie sich übernützlich zeigen. Das schlechte Gewissen treibt sie dazu, ständig für andere dazusein, nur um die Schuld in sich beruhigen zu können. Aber auch das gelingt ihnen nicht. So werden sie weiter von ihren Schuldgefühlen gejagt. Ein Sprichwort sagt:
„Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.“ Solange wir ein schlechtes Gewissen haben, kommen wir nie zur Ruhe. Das schlechte Gewissen raubt uns sogar noch den Schlaf. Das schlechte Gewissen hat nicht nur mit unseren Schuldgefühlen zu tun, sondern auch mit den Erwartungen, denen wir uns ausgesetzt sehen. Wir haben ein schlechtes Gewissen, weil wir die Erwartungen der Menschen um uns herum nicht erfüllt haben. Da erwarten die Eltern von ihren Kindern, daß sie gute Noten heimbringen, daß sie noch den oder jenen Fortbildungskurs machen, daß sie noch zur Ballettschule und zur Musikschule gehen. Das sei heute doch so wichtig. Das fördere
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die Gesundheit und mache in der Gesellschaft angesehen. Oft genug sind die zu hohen Erwartungen selbst schon Ausdruck einer inneren Unruhe. Man kann das Kind nicht so annehmen, wie es ist. Man muß es ständig zu neuen Unternehmungen treiben, aus Angst, es würde sonst nicht mitkommen, oder auch aus der Angst, man könnte sonst im Vergleich mit andern keine so pfiffigen Kinder vorweisen. Wir haben Erwartungen an die andern. Offensichtlich erwarten wir uns von der Erfüllung dieser Erwartungen durch die andern, etwa durch die Kinder, daß es uns dann besser geht. Aber das ist ein Fehlschluß. Weil wir unfähig sind, ja zu sagen zu uns selbst, haben wir tausend Erwartungen an die andern. Die sind schuld, wenn es uns nicht gut geht. Aber selbst wenn sie unsere Erwartungen erfüllen, tauchen in unserem Herzen schon wieder neue Erwartungen auf.
Wir sehen uns aber auch selbst den Erwartungen der andern ausgesetzt. Der Freund erwartet, daß ich ihn anrufe oder besuche. Die Familie erwartet, daß ich genügend Zeit für sie habe. Die Firma erwartet, daß ich mich noch mehr für sie engagiere, daß ich immer für sie verfügbar bleibe. Die kranke Mutter erwartet, daß man sich mehr um sie kümmere. Manche werden von solchen Erwartungen schier
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