Herzenssünde - Silver, E: Herzenssünde
hatte er sich getäuscht. Roxy drückte fester zu und merkte, dass er die Luft anhielt.
Langsam wich er zurück. Sobald sie wieder etwas Bewegungsfreiheit hatte, griff sie nach dem Messer in ihrem Gürtel, ließ es aber vorerst noch stecken. Dabei lockerte sie den Griff der anderen Hand jedoch nicht. Sie war keine dumme, unerfahrene Neunzehnjährige mehr, mit der man alles machen konnte. Sie war eine der Wächterinnen der Isis und nahm es mit jedem auf. Auch mit ihm.
„Waffenstillstand?“, bot Dagan ihr leise, aber dicht am Ohr an. Er ließ sich nicht anmerken, ob er Schmerzen verspürte, obwohl sie das Gefühl hatte, sie müsse die Nüsse gleich geknackt haben. „Ich will nur eine Kleinigkeit von dir wissen. Erzähl mir was über diesen Frank Marin.“
Dass eine der Isistöchter einem Sohn des Sutekh Informationen gab, war ein Ding der Unmöglichkeit.
Als er keine Antwort bekam, gab er einen Laut von sich, der fast wie ein Lachen klang. Dann ergriff er die Hand, mit der sie seine Hoden umklammerte, und presste den Daumen auf Roxys Handrücken. Sie merkte, dass ihre Hand fast taub wurde, und musste ihn loslassen, ob sie wollte oder nicht. Er drehte sich schnell zur Seite, um seine Preziosen vor Roxys Zugriff in Sicherheit zu bringen.Also Plan B, dachte Roxy frustriert.
Mit einer blitzschnellen Bewegung zückte sie das Messer und stieß es ihm bis zum Heft in den Oberschenkel. Sie spürte, wie ihr das warme Blut über die Finger lief. Und endlich kam eine Reaktion, auch wenn es nur ein leises Seufzen war. Roxy nahm sich keine Zeit, den Triumph auszukosten. Sie nutzte das Überraschungsmoment, machte sich von ihm los und sprintete zur Hintertür.
Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie nicht nur vor ihm, sondern auch vor sich weglaufen musste. War es möglich, dass sie glücklich und erleichtert war, ihn am Leben zu sehen? Weil sie jetzt wusste, dass er nicht abgeschlachtet und gehäutet worden war?
Sie machte einen Satz über die Couch, die sie durch einen Tritt auf die Rückenlehne zum Umkippen brachte, um ihn aufzuhalten. Aber schon als sie die Tür fast erreicht hatte, war Dagan bei ihr, griff ihr kräftig ins Haar und riss sie zurück. Der Blutverlust durch den Stich ins Bein schien ihm nichts ausgemacht zu haben. Nicht einmal sein Atem ging schneller als gewöhnlich. Er war eben kein gewöhnlicher Sterblicher. Genau genommen war sie ja auch keine gewöhnliche Sterbliche – seit einiger Zeit nicht mehr.
Wieder presste er sie von hinten gegen eine Mauer. „Zum Donnerwetter noch mal. Kannst du nicht einen Augenblick ruhig stehen bleiben und mir zuhören?“
Roxy fühlte unterhalb ihres Pos etwas Hartes. Richtig, das Messer steckte noch in seinem Oberschenkel. Sie ballte die Hand zur Faust und schlug mit aller Kraft gegen den Griff. Sie hätte schwören können, dass sie hörte, wie die Klinge knirschend am Knochen entlangschrammte.
Seine einzige Antwort darauf war, dass er ihren Haarschopf noch fester hielt, sodass sie das Ziehen schmerzhaft in der Kopfhaut spürte. „Verdammt noch mal, ich will eine harmlose Auskunft“, sagte er. „Ich habe überhaupt keineLust, mich mit dir zu prügeln.“
Er ließ ihr Haar los, umfasste aber stattdessen ihre Taille, hob Roxy hoch und trug sie ein paar Schritte weiter weg. Während sie noch überlegte, wie sie sich dieses Mal befreien sollte, wurde es plötzlich hell um sie herum. Er hatte das Deckenlicht eingeschaltet.
Er stellte sie wieder auf die Füße und drehte sie so, dass sie sich nun endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Die Sekunden verstrichen, während sie einander in die Augen schauten. Tausend Mal hatte sie an diese Augen gedacht, sie vor sich gesehen. Dieses Quecksilber-Grau, diese strahlenden und doch undurchdringlichen Augen, die sie gleichzeitig an den ewigen Schnee auf Berggipfeln und an unergründlich tiefe Abgründe erinnerten. Hart wie Stahl und kalt wie Eis waren diese Augen.
Für einen Moment wurde Dagans Blick warm, als er Roxy von Kopf bis Fuß musterte. Er betrachte sie genau – ihre Wangen, Nase, Kinn, Mund, dann ihren ganzen Körper, bis hinab zu den Zehen und wieder zurück. Die Wärme sprang regelrecht auf Roxy über. Sie spürte sie körperlich und fühlte sich mit einem Mal ganz konfus. Sie wehrte sich dagegen.
Obwohl sie sich nicht mehr von der Stelle rührte, hielt Dagan ihre Handgelenke fest. Sie wusste zu gut, dass sie keine Chance gegen ihn hatte. Sein wachsamer Blick warnte sie. Er traute der Ruhe
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