Herzenstimmen
keine Kinder bekommen konnten?
An manchen Tagen kreisten ihre Gedanken um nichts anderes: ein Mensch, der nur ihr gehörte. Der sie brauchte wie kein anderer, der ohne sie nicht lebensfähig wäre. Wie würde er aussehen? Groß und schlank wie sie, oder mit der kräftigen Statur, der hellen Haut und den leicht lockigen Haaren seines Vaters?
Würde sie einen gelassenen oder einen gequälten Geist zur Welt bringen?
Maung Sein war die Ungeduld seiner Frau ein Rätsel. Wann sie ein Kind bekommen, einen Jungen oder ein Mädchen, ob es gesund zur Welt kommt oder krank, ob es seinen ersten Geburtstag erlebt oder, wie so viele andere Neugeborene, vorher stirbt, war nichts, worauf sie großen Einfluss hatten. Die wesentlichen Dinge im Leben waren vorherbestimmt. Den Versuch, sie mit aller Macht beeinflussen zu wollen, empfand er als eine gefährliche Anmaßung, die nur Unglück bringen konnte. Er weigerte sich, die verschiedenen Gebräue zu trinken, die seine Frau auf Anweisung des Medizinmanns zubereitete und die angeblich beide von ihnen fruchtbarer machen sollten. Er ging nicht mit zum Astrologen, weil er nichts über die Zukunft wissen wollte, da er sie ohnehin nicht ändern konnte. Maung Sein bat seine Frau immer wieder um mehr Gelassenheit, um jenen Gleichmut, ohne den das Leben nicht zu ertragen war. Und selbst wenn sie aus irgendeinem Grund keine Kinder bekommen sollten, wäre dies kein Unglück. Dies war nur ein Leben. Eines von vielen.
Sie stimmte ihm zu, nur um ihn zwei Tage später wieder mit Fragen zu bestürmen, warum sie noch nicht schwanger sei. Ob er nicht doch von einem Trank probieren wolle, den ihr eine Hebamme gebraut hatte. Oder was er von einem bestimmten Namen halte.
Für lange Zeit blieb das der einzige Streitpunkt zwischen ihnen.
Nu Nu hörte das Holz knarzen und blickte auf. Ihr Mann saß im Halbdunkel auf der Schlafmatte und rieb sich gähnend die Augen. Sie betrachtete seinen muskulösen Oberkörper, die kräftigen Arme, die sie in die Luft heben konnten, als wäre sie ein Kind, die Hände, die sie so zärtlich streichelten oder so fest zupackten, dass allein diese Berührung reichte, um sie zu erregen. Es kostete sie ihre ganze Selbstbeherrschung, nicht zu ihm zu gehen.
»Waren die Mönche schon da?«, fragte Maung Sein. Als hätte er ihre Gedanken erraten.
»Nein.«
»Sag bloß, es regnet immer noch.«
»Ja, aber es wird weniger. Hast du Hunger?«
Ihr Mann nickte. Er stand auf, knotete seinen Longy neu, zog ein ausgefranstes T-Shirt über, holte zwei Blechnäpfe, Löffel, einen Becher, gab ihr einen Kuss auf die Stirn, strich ihr zärtlich über das Gesicht und hockte sich zu ihr.
Nu Nus Herz pochte vor Erregung.
Er goss sich Tee ein, betrachtete den bleigrauen Himmel, die tief hängenden Wolken und den schlammigen Hof voller Pfützen. »Heute haben wir viel Zeit.«
»Sehr viel«, erwiderte sie und versuchte, dabei möglichst vieldeutig zu klingen.
Maung Sein reagierte nicht. Er füllte die Blechnäpfe mit Reis und Gemüsecurry, reichte ihr einen und begann schweigend zu essen.
Kurz darauf hörten sie die Mönche bei den Nachbarn um Gaben bitten. Nu Nu nahm die große Schale Reis und das Curry, legte ein Tuch darüber, stieg die Stufen hinab und watete durch den Matsch zur Hofpforte.
Der Regen war warm. Das Wasser rann ihr Gesicht, Nacken, Rücken und Brust hinunter, innerhalb kürzester Zeit klebten Hemd und Longy auf ihrer Haut. Eine lange Prozession von jungen Männern mit kahl geschorenen Köpfen und durchnäss ten, dunkelroten Kutten zog an ihr vorbei. Sie füllte jedem andächtig einen kleinen Löffel Reis und etwas Gemüse in seine Holzschale, nahm die dankbaren Blicke oder eine gemurmelte Segnung entgegen und dachte doch an nichts anderes als an Maung Seins Körper und welche Lust er ihr bereitete.
Als sie sich umdrehte, war ihr Mann verschwunden und der Türvorhang heruntergelassen.
Mit vor Erregung zitternden Beinen verharrte sie an der Pforte, bis der letzte Mönch außer Sichtweite war, ging zur Hütte zurück, stieg die Treppe hoch und schob das Tuch beiseite.
Maung Sein lag auf der Matte und wartete auf sie.
5
S ie wusste es.
Sie wusste es sofort und ohne den Anflug eines Zweifels.
Als könnte sie spüren, was für den Körper nicht fühlbar war.
Als könnte sie sehen, was für die Augen unsichtbar blieb.
Ein Teil von ihm würde in ihr bleiben. Sich einnisten. Wachsen.
Auch wenn ihr Mann später darüber lächeln und entgegnen würde, dass das unmöglich
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