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Herzenstimmen

Herzenstimmen

Titel: Herzenstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sendker
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widerwärtigen Schatten warf.
    In dem die Herzen versteinerten.
    An eine Hütte, mit einem Loch im Dach.
    An schwarze, blank geputzte Lederstiefel.
    An einen kräftigen Körper und an einen schmächtigen Körper, der zitterte. Nicht vor Erregung.
    An Speichel, der Tropfen für Tropfen aus einem Mund mit blutroten Zähnen rann.
    An Sekunden, die zwischen Leben und Tod entschieden.
    Einen kannst du behalten.
    Den anderen nehmen wir.
    Der saß neben mir und strahlte mich an. Wie konnten Augen, die so tief ins Herz des Bösen blickten, die so viele Menschen sterben sahen, die mit ansehen mussten, wie ein Mann, den sie liebten, aus der Krone eines Baumes fiel, wie konnten solche Augen so leuchten?
    Was war ihr Geheimnis?
    Ich hatte das Gefühl, wirklich auf einer Insel gelandet zu sein. Es war aber nicht die Insel der Toten. Nicht die der Einsamen.
    Es war eine andere Insel.
    Eine, von der mir bisher niemand etwas erzählt hatte.

5
    D er Tag begann früh. Ich hörte das Flüstern der Novizen. Ihr Lachen, schon im Morgengrauen. Wie sie ihre Mat ten zusammenrollten. Thar Thars Stimme. Ihren Gesang, er hatte mit ihnen ein Mantra angestimmt. Die Glöckchen am Dach sims, die ein leichter Wind zum Singen brachte. Gackernde Hühner. Das Rauschen eines Bachs, der mir gestern nicht aufgefal len war.
    Ich streckte mich. Das wohlige Gefühl eines ausgeruhten Körpers.
    Mein Bruder schlief noch. Er lag auf dem Rücken, den Mund leicht geöffnet, die Wangen eingefallen, die Nase wirkte dünner und spitzer als sonst. Die Andeutung einer Pause im Rhythmus seines Atems. Ich schreckte hoch, lauschte. Sein Röcheln beruhigte mich.
    U Ba durfte nicht sterben.
    Bitte nicht.
    Bitte, bitte nicht.
    Ich ertappte mich dabei, etwas zu tun, was ich zuletzt als Kind gemacht hatte: Ich bat eine höhere Macht um Hilfe. Damals hatte ich in meinem Bett gelegen und vor dem Einschlafen hin und wieder den »lieben Gott« um Beistand gebeten. Als meine beste Freundin Ruth nach Washington zog. Mein Meerschweinchen im Sterben lag. Meine Mutter fast eine Woche im verdunkelten Schlafzimmer geblieben war.
    An wen sollte ich mich jetzt wenden? Das Schicksal? Die Sterne? Die örtlichen Geister, die sie Nats nennen? Den Buddha?
    Ich sandte meine Bitte an keinen bestimmten Adressaten. Mochte sich ihrer annehmen, wer die Macht besaß, mir zu helfen.
    Nach einer eindringlichen Wiederholung folgte ich den Geräuschen des Morgens. Vernahm das Geklapper in der Kü che, leiser werdende Stimmen, ein knisterndes Feuer. Nach einer Weile hörte ich, wie sie die Treppe hinunterstiegen und sich auf den Weg zu den Feldern machten.
    Ich kroch aus meinem Schlafsack, es war kälter, als ich gedacht hatte.
    Zwei Mädchen waren im Kloster geblieben. Sie lagen in der Mitte des großen Saals auf ihren Matten, mit alten Decken zugedeckt. Sie sahen elend aus. Eine von ihnen war die einarmige Moe Moe. Neben ihr hockte Thar Thar.
    »Was ist mit ihnen?«, fragte ich. »Gestern waren sie noch gesund.«
    »Sie sind erkältet und haben Fieber«, sagte er.
    »Habt ihr Medikamente?« Ich ahnte die Antwort.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Überhaupt keine?«
    »Touristen haben mal Tabletten gegen Fieber und Kopfschmerzen hiergelassen. Aber die Kinder vertragen sie nicht und bekommen Bauchschmerzen davon. Wenn es nicht besser wird, holen wir einen Medizinmann aus Hispaw. Er hat Kräuter und Salben, die helfen meistens. Zumindest schaden sie nicht, wie die chinesischen Pillen.«
    »Ich könnte ihnen kalte Wickel um die Waden machen.«
    »Wozu?«
    »Sie senken das Fieber.«
    Er brachte mir ein paar Tücher und eine Schüssel mit Wasser. Ich tunkte den Stoff hinein, wrang ihn aus, schob die Decken beiseite und erschrak.
    Die junge Frau neben Moe Moe, ich glaube, es war Ei Ei, hatte ein steifes Bein. Dürr und hart wie ein Stock lugte es unter der Decke hervor, ohne Muskeln, ohne Konturen. Linderte es auch das Fieber, wenn ich ein lahmes Bein umwickelte? War es sinnvoll, nur eines zu kühlen? Die beiden Mädchen hoben ihre Köpfe und schauten mich skeptisch an, ich hatte das Gefühl, ihnen war die Situation genauso unangenehm wie mir.
    Sie zuckten kurz zusammen, als ich ihnen die kalten Wickel um die Waden legte, stramm zog, noch einmal in Handtücher einschlug. Wann hatte ich das letzte Mal einem Menschen kalte Umschläge gemacht? Vermutlich Amy, als sie vor einigen Jahren eine schwere Erkältung hatte.
    Ich deckte die beiden Mädchen wieder zu, sie zitterten ein wenig, Moe Moe schenkte mir ein

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