Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzgefaengnis

Herzgefaengnis

Titel: Herzgefaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greta Schneider
Vom Netzwerk:
mir, ich könnte dasselbe bei ihm tun. Den Schmerz lindern, den ich manchmal in seinen Augen sah. In den letzten Tagen öfter. Und der begann, mir selbst wehzutun. Keine Ahnung, was es genau war. Trennungsschmerz wegen einer vergangenen Liebe? Ein Verlust, eine Krankheit, ein Todesfall?
    Vielleicht lag es an seinem Beruf. Als Rechtsreferendarin hatte man mich zwar vor den schlimmsten Strafakten und Gerichtsverhandlungen verschont. Doch ich kannte furchtbare Kriminalfälle durch meinen Vater und seine Kollegen. Hatte auch als Studentin schon in der Gerichtsmedizin übel zugerichtete Leichen gesehen. Und das war alles nichts im Vergleich zu dem, was er tagtäglich zu sehen bekam. Es hätte mich überrascht, wenn all das keine Spuren in der Seele eines sensiblen Menschen hinterlassen hätte.
    In Gedanken schickte ich heilende Energie durch meine Hand in seinen Oberschenkel, der so warm über meinen Beinen lag. Immerhin hatte er mir heilsame Wirkung bescheinigt.
     
     
    Anstatt einzuschlafen, wanderten meine Gedanken zu Heimke. Bisher hatte sie mir sogar leidgetan. Aber jetzt war sie zu weit gegangen. Was würde sie als nächstes tun? Ich malte es mir lieber nicht genauer aus. Jedenfalls würde ich jetzt erst recht nicht mehr mit ihr reden.
    Mein schönes Auto. Das hatte ich so gern gehabt. Scheiße. Ich dachte daran, was ich alles für Rennereien haben würde, bis die Sache ausgestanden war. Versicherung, abmelden, und dann noch abwarten, ob sie mir überhaupt glaubten. Ich beschloss, mir erst mal kein neues Auto zuzulegen. Wenn ich eins brauchte, durfte ich sicher auch mal mit Leos Wagen fahren. Die U-Bahn lag vor meiner Haustür. Eigentlich war es Luxus gewesen. Aber schade war es doch.
    Ich schloss die Augen und lauschte dem anschwellenden Geräuschpegel draußen, verursacht durch eine Menge Spatzen, Meisen und Amseln, die der Meinung waren, jetzt sei es Zeit aufzustehen. Leider hatten sie damit nicht ganz unrecht. Bald würde Leo zur Arbeit müssen. Ich zwang mich, nicht zur Uhr zu schauen.
     
     
    Ich hielt einen fremden Hausschlüssel in der Hand. Leo hatte ihn mir vor der Arbeit mit den Worten überreicht: „Damit du heute Abend hier auf mich wartest. Egal, wann ich komme. Ist das klar?“
    So streng er gesprochen hatte, so sehr hatten seine Goldpünktchen in den Augen dabei gefunkelt.
    Ich steckte ihn in meine Handtasche und wanderte ziellos in seiner Wohnung herum. Fast schämte ich mich, dass ich ihm nicht alles über Heimke und mich erzählen wollte. Er vertraute mir genug, um mich allein in seinem Allerheiligsten zu lassen. Ich hätte Schränke durchwühlen, sogar seine E-Mails lesen können. Und ich machte so einen Aufstand wegen einer frustrierten Lesbe. Nur, um besser da zu stehen.
    Mein Blick fiel auf die Familienfotos. Eine schöne dunkelhaarige Frau zwischen zwei jungen Mädchen, beide mit dunkelrotem Haar, dunklen Augen und einem schüchternen Lächeln. Das war bestimmt seine Mutter mit seinen beiden Schwestern. Auf einem Schwarz-Weiß-Foto war Leo als Teenager abgebildet. Eines der Schulfotos, auf denen man immer so besonders gucken muss, weil der Fotograf das sagt. Leo schaute ernst drein. Wilde Locken, viel länger als heute, rieselten auf seine Schultern hinab. Eckige Schultern in einem sehr gewöhnungsbedürftigen T-Shirt. Die Augen von langen Mädchenwimpern umschattet. Der sinnliche Mund, der in dem schmalen Jungengesicht so groß wirkte. Mit fünfzehn hätte ich mich auch sofort in ihn verliebt.
    Ein Dutzend Babyfotos aus verschiedenen Jahrzehnten. Schwer zu sagen, wer hier wer war. Und dann diese beiden Männer. Der eine rotblond, mit blondem Bart und abenteuerlustigen Augen. Er umarmte die schöne Frau – sicher Leos Mutter. Der andere dunkelhaarig, mit blauen Augen. Sehr elegant. Sein Blick war ein wenig arrogant. Was er sich mit seinem Aussehen erlauben konnte. Seine ebenmäßigen Gesichtszüge, die klassische Nase, der energische Mund. Er trug einen sehr gut sitzenden Anzug und eine gestreifte Krawatte. Das Foto sah aus, als wäre es für die Webseite eines renommierten Unternehmens gemacht. Seine Schläfen waren elegant ergraut. War das wohl sein – Erzeuger?
    Mir fiel eine Lücke auf. Dort musste bis vor Kurzem auch ein kleines Bild gehangen haben. Die Wand war dort eine Nuance heller, und es war ein kleines Loch zu erkennen, in dem zuvor ein Bildernagel gesteckt haben musste. Was war wohl mit dem Bild geschehen?
    Dann Bilder, die im Gebirge aufgenommen waren. Einige uralt,

Weitere Kostenlose Bücher