Herzgespinst - Thriller
drückte auf die Aus-Taste. Wütend warf sie das Handy in die Stachelbeeren. Danach brach sie in bittere Tränen aus.
Julia wusste nicht, wie lange sie regungslos auf der Bank gesessen hatte. Es war bereits ein leichter Abendwind aufgekommen, der Julia frösteln ließ. Sie musste sich erst durch die dornigen Zweige kämpfen, bevor sie ihr Handy in den Büschen wiederfand. Der Rückweg war genauso beschwerlich, wenn nicht noch mühsamer. Die Dornen hatten blutige Kratzer auf ihren Armen hinterlassen und der dünne Kleiderstoff hatte einen langen Riss.
»Hallo, Julia, wir müssen miteinander reden.«
Luis!
Julia konnte es nicht fassen, dass er sich nach allem, was passiert war, zu ihr traute. Sie fing vor Angst an zu zittern.
»Verschwinde!«, sagte sie und versuchte, ihrer Stimme einen energischen Tonfall zu geben. »Sonst rufe ich die Polizei.«
Sie machte einen Schritt zur Seite und verwickelte sich in ihrer Panik erneut in die dornigen Ranken. Vor Schmerz schrie sie leise auf.
»Julia, ich tue dir doch nichts. Ich möchte nur noch mal wegen gestern Abend mit dir reden«, flehte Luis.
Er trug eine dunkelgraue Jeans und ein schwarzes T-Shirt und sah sehr blass aus.
»Hau ab«, sagte Julia erneut. »Oliver muss jeden Augenblick hier auftauchen.«
Sie wischte mit der Hand über die frischen Kratzer auf ihrem Arm und verteilte das hellrote Blut dabei über ihre Haut.
»Julia, bitte höre mir zu. Ich habe dich nicht vergewaltigt«, sagte Luis heftig. »Ich glaube dir ja, dass du dich an nichts mehr erinnerst. Du hast schließlich einen ganzen Eimer von diesem Zombie getrunken, ich konnte dich echt nicht davon abhalten … Ich hätte ja wahnsinnig bescheuert sein müssen, mich nicht von dir küssen zu lassen, nachdem ich vorher so einen Alarm gemacht habe. Ich war schon die ganze Zeit total in dich verliebt und bin es eigentlich immer noch, obwohl du gerade dabei bist, mich in den Knast zu bringen. Ich war echt sauer und hätte dich gerne ein bisschen verprügelt. Aber jetzt nicht mehr … Tom hat vorgeschlagen, dass du dich hypnotisieren lässt, seine Mutter hat das mal gemacht. Da kriegt man sogar wieder seine eigene Geburt mit. Vielleicht erinnerst du dich dann wieder, wie es wirklich war. Kann doch sein, dass du später hingefallen bist und deshalb so zugerichtet warst, oder was weiß ich … Jedenfalls haben wir echt cool miteinander geschlafen und du bist dabei ganz schön abgegangen. Auch wenn du auf Oliver stehst, das darfst du echt nicht mit mir machen.« Seine Stimme brach ab.
»Ich würde so etwas einem Mädchen niemals antun«, sagte er leise und wischte sich mit der Hand über die Augen. »Am wenigsten dir.«
Nach dem ersten Schrecken hatte sich Julia wieder so weit gefangen, dass sie Luis in die Augen schauen konnte, ohne in völlige Panik zu verfallen.
»Und wenn deine Liebe dich krank gemacht hat?«, sagte sie mit kalter Stimme. »So krank, dass du mich unbedingt haben musstest, obwohl du längst wusstest, dass ich nur Oliver liebe?«
Luis’ Augen weiteten sich. »Julia, du bist echt abgefuckt«, sagte er mit heiserer Stimme.
In diesem Moment fuhr Julias Mutter mit dem Wagen zurück auf den Hof.
Julia begann laut und verzweifelt nach ihrer Mutter zu rufen.
»Scheiße. Verdammte Scheiße«, fluchte Luis und flüchtete sich durch den Obstgarten auf die Landstraße. Am Straßenrand wartete Tom in seinem Firebird. Gleich nachdem Luis eingestiegen war, gab er Vollgas und raste davon.
34
O liver konnte sich einfach nicht durchringen, auf Julias Nachricht zu antworten. Sicher rechnete sie dann damit, dass er bei ihr bleiben würde. Aber das würde er auf keinen Fall tun. Er konnte sich nur annähernd vorstellen, wie schlecht es ihr ging und er fühlte sich selber mies, weil er ihr nicht helfen konnte.
Dass er sich bis über beide Ohren in Shiva verliebt hatte, machte die Sache nicht gerade einfacher. Auch wenn das überhaupt nichts mit Julia zu tun hatte, kam er sich schuldig vor. Wäre das mit Luis nicht dazwischengekommen, hätte er es ihr heute bestimmt gesagt.
Er hatte kaum etwas mitgenommen, als er von zu Hause abgehauen war.
Nur ein paar Klamotten, seinen Ausweis und diese Bernsteinkette. Er hatte sie schon vor einer ganzen Weile zufällig auf einem Flohmarkt gefunden. Vielleicht weil er damals gerade ein wenig sentimental war, hatte er sie gekauft und sich vorgestellt, dass er sie dem ersten Mädchen schenken würde, in das er wirklich von ganzem Herzen verliebt war. Einen
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