Herzgesteuert: Roman (German Edition)
Rettungswagen getragen, und ich bin immer noch nicht ohnmächtig geworden. Ich habe immer gedacht, das gibt es nicht, dass man so einen Schmerz aushalten kann – aber ich konnte nicht aufhören, an Anna zu denken.«
Ich kann es jetzt auch nicht mehr aushalten.
»Georg, können wir eine Pause machen?«
Er scheint erst jetzt zu realisieren, dass wir hier in der Tennisspielervilla vor dem Kamin auf dem Teppich sitzen und dass es weit nach Mitternacht ist.
Ganz langsam kehrt er in die Wirklichkeit zurück: »Ich habe das alles noch nie einem Menschen erzählt«, sagt er erstaunt. »Und ich hätte nicht gedacht, dass ich es je tun würde.«
21
A ls wir am nächsten Morgen zurückfahren, schweigen wir. Wir sind beide völlig erschöpft und aufgewühlt: Georg, weil er mir seine Geschichte erzählt hat, und ich, weil ich sie nun weiß. Was soll ich nur damit anfangen?
Jetzt habe ich eine Riesenverantwortung für Georg!
Er hat sich mir anvertraut. Und das Allerschlimmste ist: Ich habe mich in ihn verliebt. Ich bin völlig durch den Wind. Was soll ich denn jetzt machen?
Außerdem habe ich einen Kater. Ich fühle mich wie durch den Wolf gedreht. Meine Vernunft sagt mir, dass das alles nur ein völlig verrückter Ausrutscher war. Der Grund ist zu viel Alkohol auf nüchternen Magen. Mein Gefühl sagt mir, dass ich Georg nicht mehr aus meinem Leben verbannen kann. Nicht noch mal. Jetzt bin ich wirklich herzgesteuert!
Ist das Liebe? Fühlt sich so Liebe an?
Oder bin ich nur kurzfristig verknallt? In einen hochinteressanten, außergewöhnlichen, aber eben doch auch gescheiterten Menschen?
Ist es am Ende überhaupt keine Liebe, sondern einfach nur … Mitleid?
Habe ich aus … Mitleid … mit ihm geschlafen? Mich mit ihm nackt auf dem Teppich gewälzt? Mir wird erst heiß, dann kalt.
Ich schäme mich fürchterlich.
Zumal ich mich in dem notdürftig trocken geföhnten Kostüm, das mir nun knittrig und klamm am Leibe klebt, nicht gerade toll fühle.
Was habe ich nur gemacht? War das wirklich ich?
Und – mein Gott! – es war umwerfend! Bloß nicht darüber nachdenken, sonst werde ich verrückt! Sofort verdränge ich die süßen Erinnerungen, die sich in mein Herz schleichen wollen. Trotzdem zieht es sich schmerzlich zusammen. Mein Magen spielt ebenfalls verrückt.
Ich habe doch keine … Schmetterlinge im Bauch?
Wohl eher Motten.
Ich spinne wohl. Ich habe mich Hals über Kopf unsterblich in einen Penner verliebt.
Aber das muss ich ändern! Das muss ich sofort im Keim ersticken! Ich meine, er passt doch gar nicht zu mir!
Wie soll das gehen? Wie soll das funktionieren?
Aber er ist so umwerfend zärtlich und liebevoll … Schon wieder kehren meine Gedanken an den Kamin zurück, wo wir nach seiner Geschichte sofort wieder übereinander herfielen. Wir haben uns geliebt, als gäbe es kein Morgen, er hat mich gehalten, und ich habe mich an ihn geklammert, als könnte ich ihm all die Liebe zurückgeben, die er mit dem Flugzeugabsturz verloren hat. Nein, das war ein Traum.
Sonst nichts. Nur ein völlig verrückter, wilder, fantastischer, erotischer Liebes traum.
Ein Blick nach rechts überzeugt mich von der grausamen Wirklichkeit.
Georg hat wieder seine üblichen Pennersachen an. Die Tennisspielerklamotten hat er heute Morgen artig wieder in den Schrank gehängt.
Er hat die Küche tadellos aufgeräumt und wie immer keinerlei Spuren hinterlassen. Er ist ein Profi.
Aber in was?
Im Einbrechen!?
Im Schmarotzen!?
Im … Menschenbetrügen?
Beim frühmorgendlichen Aufbruch hätte ich fast meinen Geldkoffer vergessen. Er hat ihn mir höflich hinterhergetragen. Ich habe nicht gewagt, ihn zu öffnen oder gar das Geld zu zählen.
Ob er sich heimlich an dem Geldkoffer zu schaffen gemacht hat? Während ich im Bad war? Oder heute Morgen? Als ich mich um mein Kostüm gekümmert habe?
Zeit genug hatte er. Mehrmals. Liebe macht bekanntlich blind. Ihm blind zu vertrauen, ist mehr als naiv. Ich blöde Kuh. Er hätte die gesamte Kohle stehlen können! Und ich bin jetzt zu feige, die Tasche zu kontrollieren.
Das würde Georg nämlich kränken.
Aber wie komme ich nur dazu, ihm so grenzenlos zu vertrauen? Und was noch viel schlimmer ist: Warum vertraut er mir ? Ausgerechnet mir ?
Was hat ihn nur dazu gebracht, ausgerechnet mir seine tragische Geschichte anzuvertrauen? Was macht er sich für Hoffnungen? Kann ich die überhaupt erfüllen?
Mir zieht sich das Herz zusammen. Er ist mir zugelaufen , im wahrsten Sinne des Wortes.
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