Herzhämmern
spucken! Du kannst was erleben!« Er sucht nach Lehmklumpen.
Ich gehe in Deckung. Meine Zähne schlagen aufeinander, so unbehaglich kalt und schwer ist der Anzug.
»M… mach mal«, klappere ich, »dann w… wird’s uns w… wärmer!« Ich werfe einen zufälligen Blick zum Haus hinüber und habe plötzlich die fixe Idee, Carsten könnte vor dem Frühstück einen Morgenspaziergang machen wollen. Noch ist alles ruhig, und wir vier scheinen die Einzigen zu sein, die schon auf sind. Aber die Unruhe packt mich. Wenn Carsten mich sieht …
Ich breche das Geplänkel ab und grinse Bonni freundschaftlich an. Ich kann kaum glauben, dass wir uns erst seit vierzehn Stunden kennen.
»Ich weiß eine Abkürzung«, sage ich.
Dann stapfen wir auf dem Pfad hinter der Scheune davon. Ecke und Shelley befördern unser Frühstück.
»Noch kalt, Bonni?«, erkundigt sich Ecke. »Wir hätten im Haus essen sollen …«
»Nein«, sagt Bonni schroff.
Ich grinse in mich hinein. Klar darf ihm nicht kalt sein, wenn einem Mädchen nicht kalt ist. Bestimmt könnte ich ihm einen Gefallen tun, wenn ich schnell mal für fünf Minuten bibbern würde. Aber mir schenkt auch keiner was.
Wenigstens habe ich meine eigenen trockenen Turnschuhe an, das hohe Paar, das ich liebe und von dem ich mich hinterher wahrscheinlich verabschieden darf, wenn ich mir das misshandelte Schuhwerk meiner Kumpels so ansehe. Alexanders U-Boote habe ich im Schuppen stehen lassen, irgendwo sind Grenzen für ein Mädchen, das unbedingt zum Kumpel werden will.
Vor meinem Bauch baumelt die Stablampe. Zuerst hat sie nur gefunzelt. Aber seit Shelley das verschmierte Glas mit Spucke gereinigt hat - an der Innenseite seines Hemdes -, ist ihr Licht kräftig. Ein Schalter für Dauerbetrieb, ein Druckknopf für Intervall. Ich überzeuge mich davon, dass sie wirklich ausgeschaltet ist.
Wir waten durch raschelndes Herbstlaub bis zum Ende des Hochwaldes. Einen Steinwurf entfernt sind die Felsen, die jetzt von den ersten Strahlen der Morgensonne erreicht werden. Durch das Laub über unseren Köpfen schießen helle Sonnenbalken, die Welt fängt zu leuchten an.
»Hier frühstücken wir«, entscheidet Ecke. »Auf der anderen Seite der Felsen ist es kalt, da kommt noch keine Sonne hin.«
Eine Thermosflasche ist für Bonni und mich, die andere teilen sich Ecke und Shelley. Bonnis Finger sind eiskalt, als er mir den Becher gibt.
Shelley packt Brote aus.
Wir lehnen an der Felswand, zum Sitzen ist es zu kalt.
Obwohl ich die Augen zukneife, sauge ich den leuchtenden Morgen geradezu ein. Herbsttage können neblig und trübe sein und fast wünsche ich mir einen solchen. Denn diese Sonne heute ist verschwendet an vier Erdferkel, die das Geschenk gleich achtlos wegwerfen werden.
Noch nie habe ich einen schöneren Morgen erlebt. Mein Hals wird verdammt eng, ich kriege das Brot nicht runter. Ich erkläre es den anderen damit, dass ich morgens keinen Appetit habe. Auf eine Lüge mehr kommt es nicht an. Aber sie bestehen darauf, dass ich meinen Anteil esse, das sei unbedingt nötig, sagen sie, und sie hätten keine Lust, mich wie einen schlappen Sack mitzuschleifen.
Ich reiße mich zusammen und würge die Brocken runter, dazu schlürfe ich heißen Tee in winzigen Schlückchen. Der Becher wandert zwischen Bonni und mir hin und her. Unsere Finger werden wärmer.
Mir fällt auf, dass sich die Brusttaschen von Bonnis Overall seltsam wölben. »Notproviant?« Ich tupfe mit dem Finger hin und es ist unerwartet hart.
Bonni runzelt die Stirn. Ecke und Shelley grinsen.
»Notlicht«, sagt Ecke bedeutungsvoll.
Bonni bellt ihn an: »Das ist meine Sache!«
Ich schaue verblüfft in sein zorniges Gesicht. Habe ich in ein Wespennest gestochen? Ich kenne mich bei den beiden nicht aus - mal ist Ecke der beschützende große Bruder, mal distanziert er sich völlig von Bonni. Ob das zwischen Geschwistern immer so ist? Wenn ich welche hätte, wüsste ich es vielleicht. Aber meine Mutter hat nur meinen Vater geliebt.
Bonni beantwortet meinen fragenden Blick gereizt. »Der denkt nicht daran, dass sein Licht auch ausgehen kann!«
»Muss ich auch nicht«, kichert Ecke, »du hast doch Ersatz für zwei.«
»Hab ich. Aber nicht für dich!« Bonni schäumt. Mein Denkapparat setzt sich in Bewegung: Moment, wie ist das mit dieser Batterielampe, die ich da umhängen habe, die geht doch auch mal aus, oder?
Shelley kann Gedanken lesen. »Deine Lampe ist ganz neu«, beruhigt er mich. »Sie hat nur gestern ein paar
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