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Herzhämmern

Titel: Herzhämmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Stunden gebrannt.«
    Ecke, der für meine Begriffe zu fröhlich ist, knufft Shelley, um ihn an seinem Vergnügen teilhaben zu lassen. »Der Kleine«, japst er, »geht nur mit doppeltem Ersatz!«
    Bonni überlässt mir den Teebecher und fängt mit geballten Fäusten zu tänzeln an. Er schleudert die langen Haare nach hinten, seine Augen blitzen gefährlich.
    Ehe ich recht begreife, wälzen die Brüder sich am Boden. Mal ist der eine oben, mal der andere. Bonnis Haare fliegen nur so. Der wortlose Kampf wird von Stöhnen begleitet.
    Ich suche erschreckt Shelleys Augen.
    Shelley grinst ein wenig. Er winkt ab. »Die brauchen das immer wieder mal«, sagt er. Er schraubt die Thermosflaschen zu und sucht ein Versteck für sie. Vom Lunchpaket ist nur noch ein leerer Beutel übrig. Den stopft er zusammen mit den Flaschen in einen Ginsterstrauch.
    Es wird ernst.
    Mein Magen wölbt sich über der Gürtellinie und droht damit, dass er demnächst sehr unangenehm werden kann.
    »Passt dein Helm?«, will Shelley wissen.
    Ich nicke beklommen. Die Galgenfrist scheint vorüber. Ich habe noch nie verstanden, wie Verurteilte eine sogenannte Henkersmahlzeit in sich hineinschaufeln und vielleicht sogar genießen können.
    Ecke zupft schwer atmend Blätter aus Bonnis Haaren, Bonni tastet mit der Hand nach seinem Batterienvorrat und zieht die Nase hoch. Ich habe nicht gesehen, wer von beiden den Kampf gewonnen hat. Laub klebt rundherum an ihren schmutzigen, feuchten Overalls. Geteert und gefedert , fällt mir ein. Habe ich aus einem historischen Roman.
    »Jetzt sind sie geteert und gefedert«, sage ich mit dünnen Lippen zu Shelley.
    »Hm?« Sein Blick ist verständnislos.
    »Geteert und gefedert«, wiederhole ich.
    »Was ist das?«, fragt er.
    »Mit solchen Sachen darfst du Shelley nicht kommen«, sagt Ecke. »Er hat nicht Geschichte studiert, sondern das Schreinerhandwerk. Was, Shelley? Bei euch wird höchstens geleimt und gespänt!« Er hopst vor Freude und schlägt Shelley vor, den Leuteschinder in seinem Betrieb in Leim und in Sägespänen zu wälzen. Nackt natürlich. Und ob das nicht eine niedliche Strafe wäre. Geleimt und gespänt .
    Ich merke schon, Eckes Vorfreude auf den Höhlenausflug besteht ungemindert, kein Argument der Welt könnte ihn dazu bringen, stattdessen eine hübsche Wanderung in der freundlichen Sonne zu machen. Ich kann mir die Worte sparen. Weiß sowieso nicht, wie beginnen.
    Der Helm sitzt. Darunter quellen meine Haare hervor. Ich könnte sie hineinstopfen, aber der Overall entstellt mich schon genug. Ich sehe, wie Shelley seine Brille gegen das Licht hält, ehe er die flexiblen Bügel um die Ohren windet und den Helm darüberstülpt.
    »Scheibenwischer montiert?«, witzelt Bonni.
    »Ihr habt es gut«, seufzt Shelley. »Mit’ner Brille bist du in der Höhle ganz schön behindert. Darfst nie hinfassen, sonst ist es aus mit der Sicht.«
    »Gut, dass ich Kontaktlinsen trage«, sage ich. Hatte heute Morgen beim Einsetzen so zittrige Finger, dass mir die linke Sehhilfe um ein Haar durch den Ausguss davongeschwommen wäre. Wär gar nicht so übel gewesen. Ohne die linke Sehhilfe bin ich blind. Relativ blind. Bestimmt zu blind für eine Höhle. Plötzlich weiß ich es sicher: Ich hätte sie davonschwimmen lassen sollen.
    Mir weicht fühlbar das Blut aus dem Gesicht. Man könnte meine Sommersprossen zählen.
    Aber Shelley sagt nur: »Ich leg mir auch mal Kontaktlinsen zu. Kriegt man sie auf ein Brillenrezept?«
    »Ich glaube nicht.« Wir gehen hinter Ecke und Bonni um die Felsen herum und gleich wird meine Esche auftauchen. »Man muss schon eine ziemliche Sehschwäche haben. Oder zweierlei Augen wie ich.«
    »Zweierlei Augen?«
    »Ja.« Ich erkläre ihm, dass ich rechts nur eins Komma fünf Dioptrien habe, also praktisch fast ohne Sehhilfe auskommen kann, dass ich links aber vier Dioptrien habe. Deshalb bräuchte ich rechts ein dünnes Brillenglas und links ein dickes. Weil das unschön auffallen würde, kriege ich Kontaktlinsen verordnet.
    Ich bin stolz auf diese Besonderheit. In meiner Klasse wissen alle davon. Spätestens seit dem Schulausflug nach Ulm. Dort steht der angeblich höchste Kirchturm der Welt. Wie nicht anders zu erwarten, wollten die meisten hinauf. Ich nicht. Als ich zum ersten Mal zurückblickte, verschwammen die Stufen. Ich klammerte mich ans Geländer, der ganze verdammte Turm drehte sich. »Ich kann das nicht machen«, erläuterte ich unserer Lehrerin, »weil mein räumliches Sehen eingeschränkt

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