Herzhämmern
Jeanstasche greifen, die Uhr herausziehen und mit Lehm verschmieren, über das Glas lecken, ablesen. Und wozu? Nur um zu erfahren, dass auf der Erde die Stunden weitergelaufen sind, während wir uns hier unten verstiegen haben, wo die Zeit sowieso keine Rolle spielt.
Die Jungen beraten mit gedämpften Stimmen, das ängstigt mich am meisten - wo sie bisher doch ungeniert gebrüllt haben. Ihrem Gespräch kann ich mancherlei entnehmen. Zum Beispiel, dass Bonni erst zweimal mit dabei war, gestern und vor Kurzem in der Schönsteinhöhle. Dass auch Ecke und Shelley bei Weitem nicht die Erfahrung besitzen, die ich ihnen zugetraut habe. Sie wollten sich längst einem Höhlenverein anschließen, wo man ausgebildet wird und mit Fachleuten in die Erde kriecht, aber dann, sagt Ecke auf Bonnis heftigen Vorwurf hin, sei man eben auch nicht mehr frei zu tun, wozu man Lust habe. Und gerade das gäbe einem doch den Kick. Außerdem hätten sie noch jedes Mal wieder herausgefunden, oder etwa nicht? Selbst in der brenzligsten Situation, als beim Abseilen plötzlich kein Licht mehr vorhanden war, wäre nichts passiert. So sei’s doch gewesen, oder nicht?
Es ist für einen Moment vollkommen still. Das Schweigen von Jahrmillionen lastet auf uns.
»Wir haben zwei intakte Lampen«, sagt Shelley nach einem Räuspern.
Meine Stimme kommt dumpf mit der Frage: »Warum habt ihr eigentlich keine Helme mit Leuchten?«
»Das ist Spezialausrüstung, das kostet einen Haufen Geld. Die Bauhelme tun’s auch«, meint Shelley.
»Zur Not nehme ich die Lampe zwischen die Zähne«, belehrt mich Ecke. »Du frisst ein bisschen Lehm, was soll’s.«
Bonni drängt zum Weitergehen.
Es stellt sich heraus, dass uns nach Ableuchten jeden Winkels nur die Rutsche nach unten bleibt. Der Spalt am Ende des Kamins, den Ecke ausprobiert hat, führt in einem Bogen zu dem Loch, durch das er bäuchlings bei uns ankam. Die Rutsche aber ist ihnen allen unbekannt. Mit Sicherheit haben sie sie gestern nicht gesehen, geschweige denn benützt.
»Das bedeutet«, sagt Bonni, »dass wir gestern nicht hier waren.«
»Richtig, Klugscheißer«, antwortet ihm Ecke.
»Wo haben wir dann umgedreht?«
Sie schauen sich an und denken nach. Eigentlich hatten sie sich die Stelle doch eingeprägt, oder? Sie hätten sie wiedererkennen müssen. Sind sie nun achtlos vorübergegangen oder was sonst?
»Was sonst«, sagt Ecke. »Es ist auch das wechselnde Licht. Schon wenn du deinen Scheinwerfer ein bisschen steiler hältst, hast du einen ganz neuen Eindruck. Das ist wirklich eine Superhöhle! Die Typen haben uns nicht zu viel versprochen. Eine echte Superhöhle!«
Seine Begeisterung überzeugt mich nicht. Auch Bonnis Kriegsgeheul bleibt aus. Shelley sagt bedächtig: »Wir müssen einen anderen Abzweig erwischt haben.«
Die Worte hängen für eine Weile in der Stille.
»Gibt es keinen Plan von der Höhle?«, flüstere ich.
»Man arbeitet daran«, antwortet Shelley. »Wir kennen nur das versteckte Einstiegsloch. Von da zum Haupteingang soll es eine Verbindung geben. Dazwischen liegen ein paar Hindernisse und mindestens zwanzig Höhenmeter. Aber wir finden die Verbindung.«
Ich prüfe, ob seine Ruhe nur vorgetäuscht ist. Shelley weicht meinen Augen nicht aus. Mitten hinein in diesen Blick sage ich: »Konnten wir den Haupteingang nicht einfach benützen ?«
»Dann hätten wir um Erlaubnis fragen müssen.«
»Wen?«
Shelley fängt an, sein Seil aufzuknoten, und Ecke erklärt mir, dass sich der Haupteingang der No-Name-Höhle auf dem Grundstück eines Bauern befindet, genau neben dem Stall, und dass dem Bauern damit die Höhle gehört.
Das kann ich nicht fassen. Dieses ganze unterirdische System von Gängen und Höhlen soll einem Bauern gehören, auf dessen Besitz sich zufällig der Eingang befindet?
»So ist es«, sagt Ecke.
»Und wenn er uns herauskommen sieht?« Hoffentlich sieht er uns herauskommen - dann kommen wir wenigstens heraus!
Ecke zuckt die Achseln. »Was soll er schon machen.«
»Wenn man um Erlaubnis fragen muss«, beginne ich, »dann wissen die Leute, dass man drin ist, nicht? Und können etwas unternehmen, falls man nicht zurückkommt. Aber wenn sie gar nicht wissen, dass man drin ist …« Ich verstumme. Kein Mensch weiß, wo ich bin. Meine Mutter hat keine Ahnung. Selbst Carsten Siebert und die Gruppe wissen nichts.
»Du machst dir doch nicht in die Hose?«, sagt Ecke.
Ich hasse, hasse, hasse ihn.
»Nein!«, fauche ich. Mein Fuß schmatzt, als ich ihn
Weitere Kostenlose Bücher