Herzhämmern
Angstbeben mehr, es könnte auch von froher Aufregung kommen. Das Seil verbindet mich mit Shelleys Händen, und ich kann sicher sein, dass er es nicht loslässt. Ich kann, wenn ich will, sogar die Augen zumachen. Die schmierige Bahn unter mir ist kalt und glatt, ich rutsche. Die Wände rechts und links bieten den Füßen hinreichend Halt, aber als ich um die Biegung komme und Dunkelheit vorfinde, fährt mir doch der Schreck rein.
»Bonni!« Mein Schrei klingt schaurig und mischt sich mit Rufen von oben und unten. »Mach Licht!« Das Seil hinter mir ist straff. Ich taste mich voran. Meine Füße schlittern an den Wänden entlang, ehe sie etwas zum Einstemmen finden, und ohne das Seil würde ich in der Dunkelheit ins Trudeln kommen und abfahren. »Bonni! Ecke!«
Nach einer weiteren Biegung taucht Licht auf.
»Talfahrt! Schuss!«, ruft Ecke.
Ich sehe nichts, das Licht von unten blendet. Das straffe Seil lässt keine Talfahrt zu, Gott sei Dank.
»Mensch«, sagt Ecke, als ich bei ihm angelangt bin, »so macht’s doch gar keinen Spaß!«
»Spaß genug«, gebe ich grimmig zurück.
Bonni meckert schon wieder, dass wir so langsam seien. Es kommt mir allmählich vor, als befände er sich in einem Wettlauf mit der Zeit - oder mit dem Schicksal. Er rechnet sich vielleicht aus, wie lange es gedauert hat, bis zwei Lampen ausfielen und wie viel Zeit uns für die anderen beiden bleibt. Ich kann das nachvollziehen, ich habe die Rechnung nämlich auch schon aufgemacht. Und wo stecken wir überhaupt? Das hier scheint gerade wieder eine zerklüftete Ausbuchtung des Schlauches zu sein, die uns aufrechtes Stehen erlaubt. Wie lange geht das noch weiter?
»Wo sind wir?«, wende ich mich an Ecke.
»In der Erde.«
So ein blöder Hund. Ich knirsche mit den Zähnen.
»Wie weit vom Ausgang?«
»Ich bin kein Hellseher, liebe Martina.«
»Aber was denkst du, Ecke?«, hakt Bonni nach.
»Ich denke, dass man hier unten gar nichts sagen kann. Wir können’s in zehn Minuten geschafft haben, wir können aber auch nach weiteren zehn Stunden umkehren müssen. Ist alles drin.«
»Und das gibt dir den Kick«, fauche ich.
»Genau. Hey, Martina, nun sei nicht sauer. Wir schaffen’s schon. Ich bin nur echt kein Hellseher.«
Das ist mir klar; ich könnte ihm sagen, wofür ich ihn halte.
»Was das Ganze vielleicht ein wenig schwierig macht«, fährt er fort, »ist das Labyrinth.«
»Das Labyrinth?«, kreische ich.
»Hey, reg dich ab. Was heißt schon Labyrinth. Die ersten Typen hier drin haben sich vielleicht einmal verlaufen und schon heißt der Abschnitt Labyrinth.«
Ich glaube seinen Beschwichtigungen nicht. Und Bonni glaubt ihnen auch nicht, das sehe ich genau.Was es viel schlimmer macht. Denn er kennt seinen Bruder besser als ich.
Ecke will uns ablenken und zählt die irrsten Namen für Höhlenabschnitte auf: Echohalle,Wasserrohr, Mausefalle, Teufelsschlupf, Angströhre, Prüfungsschacht, Halsabschneiderloch, Höllenlabyrinth …
»Höllenlabyrinth?«
»Keine Panik, das ist in einer anderen Höhle. Die hier hat nur ein normales Labyrinth, haben die Leute gesagt, die uns den Tipp gegeben haben.«
Was, bitte, ist ein normales Labyrinth? Ich kenne ein Labyrinth nur aus den griechischen Sagen. Es gehörte König Minos von Kreta und das grässliche Ungeheuer Minotaurus hauste darin und ernährte sich von Jungfrauen und Jünglingen; je sieben von ihnen trieb man immer ins Labyrinth und keiner kehrte jemals zurück, das Ungeheuer hat sie alle gefunden und gefressen. Dann kam der Held Theseus und bot sich freiwillig als Opfer an. Aber nicht einmal ein Held hatte eine Chance im Labyrinth; Theseus’ Glück war nur, dass sich die Königstochter Ariadne in ihn verliebte und ihm ein Wollknäuel mitgab. Mithilfe des Fadens fand er aus dem Labyrinth, nachdem er seine Heldentat hinter sich gebracht und das Ungeheuer getötet hatte.
»Hast du auch von dem Labyrinth gewusst?«, frage ich Shelley scharf und ohne mich für seine Seilsicherung zu bedanken.
Er gibt mir die Lampe zurück. »Was meinst du?«
»Dass in dieser Scheißhöhle ein Labyrinth sein soll!« Ich drehe beinahe durch.
»Ach so. Aber das sagt doch gar nichts.« Er wickelt gemütlich sein Seil auf.
Ich werfe ihm mein Ende vor die Füße. »Vielleicht weißt du nicht, was ein Labyrinth ist?«
Shelley schaut mich erstaunt an. »Wenn es sich verzweigt und so?«
»Ja!«, schreie ich. »Hättet ihr nicht wenigstens einen Faden mitnehmen können?«
»Einen Faden?«
»Hihi.« Ecke
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