Herzhämmern
Bonnis Geheul unter.
Ich muss mich setzen. Meine Beine holen das Zittern nach. Das Seil um meine Taille wird mir erst bewusst, als Ecke daran zieht.
»Willst du dich abseilen lassen?«, fragt er.
Ich weiß nicht, was ich will. Im Moment habe ich keinen anderen Wunsch als den, dass Shelley hierbleiben soll. Meine Erleichterung seit seinem Wiederauftauchen ist unbeschreiblich.
Er gibt mir meine Lampe zurück und hängt sich sein defektes Gerät wieder um. »Bleib am Seil, Martina, wenn du willst, ich sichere dich«, sagt er. »Du kannst jederzeit mit den Beinen bremsen, die Wände sind eng genug dafür. Okay, wollen wir?« Er nickt mir lächelnd zu.
Aber Ecke und Bonni streiten sich noch, Bonni ist nicht bereit, seine Lampe herauszurücken.
»Also gut«, sagt Ecke, »dann musst du voran. Wenn du unten bist, leuchtest du, und ich komme angeschossen. Mann, das wird eine Fahrt!«
Bonni kann sich nicht entschließen. In seinem Gesicht findet ein stummer Kampf statt. Dann siegt sein Wille, die Lampe zu behalten, er macht sich sitzend an die Abfahrt. Eine Fahrt ist es eigentlich nicht, sondern ein schrittweises Rutschen im Rhythmus seiner eingestemmten Beine.
»Mann, braucht der lang«, stöhnt Ecke.
Wir sehen Bonni um die Biegung verschwinden. Und mit ihm das Licht. Ich knipse schnell meine Lampe an.
Ecke macht sich bereit. Er grinst Shelley und mich an. »Kann ich schon, was denkst du, Shelley? Freie Fahrt?«
Shelley schüttelt den Kopf. »Warte, bis er unten ist. Er wird sich schon melden. Und denk an deine wertvollen Teile. Die Bahn ist nicht immer glatt.«
»Danke für den Tipp, Alter. Bist ein echter Kumpel.«
Bonnis Rufe - was immer sie bedeuteten - sind noch nicht verklungen, als Ecke sich abstößt. Mit einem lang gezogenen Schrei fährt er hinunter und um die Biegung.
Shelley tauscht einen Blick mit mir. »Der spinnt echt«, sagt er nachsichtig. »Bei Rutschen dreht der durch.«
»Was findest du eigentlich an ihm?«
»Er ist mein Kumpel«, sagt Shelley verwundert.
Ich sehe ihn an. Wärme steigt mir ins Gesicht, trotz der frostigen Höhlentemperatur. Ich möchte den Augenblick verlängern. »Seid ihr schon lange befreundet?«
»Wir haben uns vor einem guten Jahr beim Bungee-Springen kennengelernt.«
»Beim Bungee-Springen?«
»Hm. Hast du das auch schon gemacht?«
Ich? Fassungslos schaue ich Shelley an. Er traut mir zu, dass ich von einem Kran springe! Und ist gleichzeitig so nett, mich auf dieser vergleichsweise lächerlichen Rutsche zu sichern …
»Nein«, sage ich rasch, »ich kenne Bungee-Springen nur aus dem Fernsehen. Wie ist es?«
»Ach, gar nicht so toll. Zuerst musst du dir einen ziemlichen Schubs geben, und du tust es vielleicht nur, weil andere zuschauen. Aber dann ist es auch schon vorbei. Hat dich außerdem eine Menge Geld gekostet. Höhlen sind interessanter. Oder findest du nicht?«
Ich schlucke. »Sicher. Ja, doch.« Ich muss wegschauen, Shelley ist so nah. Er kniet nämlich vor mir auf den Seilschlingen und prüft meinen unfachmännischen Knoten. Wenn ich jetzt die Lampe ausknipse, haben wir’s noch immer hell, garantiert, mein Feuerkopf leuchtet.
Da sehe ich, dass meine Haare, die Shelleys Helm streifen, gar nicht mehr leuchten können, sie sind braun und schwer.
Shelley schaut in dem Moment wieder auf und bemerkt meinen Blick und lacht leise, als ich entsetzt meine Haare anfasse. »Du hättest sie unter den Helm stecken sollen. So. Der Knoten ist gut. Du kannst los.«
Der verlängerte Augenblick ist vorbei. Ich habe ihn schlecht genützt. Statt nach Ecke hätte ich nach etwas anderem fragen sollen. Mich interessiert nämlich auf einmal brennend, ob Shelley eine Freundin hat. Immerhin traut er mir zu, dass ich von einem Kran springe. Meine Chancen stehen vermutlich nicht schlecht … Die Leuchtpunkte in meinem Gesicht sind drauf und dran, die Lehmschicht zu durchbrechen. Hastig wende ich mich der Rutsche zu. Ich setze mich und stemme die Beine gegen die Wände.
Halt.
Was ist mit Shelley, wenn ich mit meinem Licht verschwunden bin? Ein Meter trennt uns erst. Ich äuge ihn über die Schulter an. Von einem Kran springe ich nicht, niemals. Aber jetzt springe ich über meinen Schatten. Es heißt, das wäre unmöglich. Ich schlüpfe aus dem Riemen und reiche Shelley die Lampe.
»Sonst sitzt du hier im Dunkeln«, sage ich und spüre mein Herz klopfen. Der Schein fährt ihm übers Gesicht und ich nehme sein überraschtes Lächeln mit auf den Weg. Mein Beben ist kein klares
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