Herzklopfen in Virgin River (German Edition)
für einen parat hielt, mit einer heiteren, zenartigen Gelassenheit entgegenzutreten. Und es gab gute Gründe anzunehmen, dass sie dies wohl schnellstens nachholen sollte. Ein Sommer auf einem herrlich einsamen Bergkamm, weit weg von der kalifornischen Hitze und von jeglichen Verpflichtungen ihres Privatlebens, hätte sie eigentlich entspannen und runterkommen lassen sollen. Erin wollte unbedingt lernen, wie man relaxte und das Nichtstun genoss. Es war höchste Zeit, sich daran zu erinnern, dass sie sich das Leben, das sie führte, selbst ausgesucht hatte. Und sie hatte es eilig, ihr inneres Gleichgewicht zu finden. Außerdem war es billiger, als nach Tibet zu fliegen.
Dass Erin permanent unter Druck stand, konnte man durchaus logisch erklären. Ihre Angewohnheit, bei allem einhundertfünfzig Prozent zu geben, forderte ihren Tribut. Erin war gerade elf gewesen, da starb ihre Mutter. Und plötzlich hatte Erin sich in die Rolle der Frau im Haus gedrängt gefühlt. Außer ihr waren da noch ein trauernder Vater, die vierjährige Schwester Marcie und der zweijährige Bruder Drew. Erin war nicht alleine für ihre Geschwister verantwortlich. Denn ihr Vater war immer noch ihr Vater, wenngleich er sich seiner Aufgabe nach dem Tod seiner Frau weniger widmete. Tagsüber, wenn Erin in der Schule war, hatte ein Babysitter auf die zwei Kleinen aufgepasst.
Dennoch war Erin nach dem Unterricht immer nach Hause geeilt, weil sie außer der Kinderbetreuung noch Berge weiterer häuslicher Pflichten zu erledigen hatte. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass sie ihren Geschwistern die Mutter ersetzen musste, egal ob es ihr nun gefiel oder nicht. Als Drew und Marcie älter wurden, hatte sie sich tatsächlich mehr um deren Bedürfnisse und deren Leben gekümmert als um sich selbst. VomFußballtraining bis zu Klavierstunden hatte sie alles organisiert und ein Auge auf ihre schulischen Leistungen gehabt sowie versucht, dafür zu sorgen, dass etwas Ordentliches zu essen auf den Tisch kam, damit sie sich nicht ausschließlich von Junkfood ernähren mussten. Nur selten ging Erin aus, nie schien sie einen Freund zu haben, und sie sagte alle Schulveranstaltungen ab, egal ob es sich um Football- oder Basketballturniere oder Tanzveranstaltungen handelte. Trotz allem schaffte sie es aber immer , zu den Klassenbesten zu gehören. Sie hatte schon ganz früh in ihrem Leben entschieden, dass sie, wenn sie schon keinen Spaß haben konnte, wenigstens immer klug sein würde.
Als ihr Vater bei einer Routineoperation am Knie starb, war sie zweiundzwanzig, frischgebackene Jurastudentin und wohnte immer noch zu Hause, damit sie für ihre Geschwister, die inzwischen dreizehn und fünfzehn waren, da sein konnte. Erin hatte wieder die Verantwortung. Es hatte sich nicht so viel verändert, außer dass sie ihren Dad schmerzlich vermisste. Doch im Prinzip hatte sie nun noch mehr Verantwortung als vorher. Denn weil sie volljährig war, hatte sie nun auch noch das Sorgerecht.
Freunde und Kollegen bewunderten sie dafür, was sie alles schaffte. Nachdem ihre jüngeren Geschwister die Pubertät überlebt hatten, half Erin ihrer Schwester, die mit einem Marine verheiratet gewesen war, sich um ihren bei einem Einsatz im Irak schwer verwundeten Ehemann zu kümmern. Erin hatte ihren jüngsten Bruder durch das College und das Medizinstudium begleitet. Und während dieser Zeit hatte sie sich selbst einen Namen als Anwältin in einer sehr erfolgreichen Kanzlei gemacht. Die Lokalzeitung hatte sie, in einem recht kitschigen Artikel, als eine der bewundernswertesten und begehrtesten Singlefrauen der Stadt beschrieben – als perfekte, hinreißende Traumfrau mit brillantem Fachwissen in Steuerund Immobilienrecht, die auch einen Haushalt managt; kurz: als eine Frau, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Über diesen Bericht musste Erin immer noch lachen. Sie konnte die Verabredungen der letzten Jahre an einer Hand abzählen – alle schrecklich langweilig.
Erin hatte erreicht, was sie sich vorgenommen hatte. Ihre kleine Schwester hatte wieder geheiratet und war von ihrem Mann, dem besten Freund ihres verstorbenen Ehemannes, schwanger. Gemeinsam lebten sie nun in Chico. Ihr jüngerer Bruder hatte das Medizinstudium mit Auszeichnung abgeschlossen und arbeitete als Assistenzarzt in Südkalifornien. Die fünfjährige Zeit als Assistenzarzt war hart und ließ ihm kaum Zeit für andere Dinge. Mittlerweile war Drew siebenundzwanzig, wohnte mit seiner Verlobten zusammen und
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