Herzschlagmelodie - Band 1
doch der konnte auch nichts dafür, dass Julie sich so benahm. Ich lief weiter auf und ab, versuchte ein paar Gründe für ihr Verhalten zu finden und dann via Ausschlussverfahren an die richtige Lösung zu geraten.
Entweder Julie war wirklich betrunken gewesen. Oder sie hatte es auch gewollt, es dann aber doof gefunden. Oder sie log. Es gab nur diese drei Theorien. Allerdings fiel es mir schwer, klar zu denken. Am liebsten wäre ich wieder hinausgerannt und hätte sie angebrüllt. Doch das wollte ich nicht. Schon als ich ihr vorher gegenüber gestanden und etwas lauter geworden war, hatte ich in ihrem Gesicht gesehen, wie sie vor mir erschrocken war. Sie war sogar einen Schritt zurückgewichen und ich hatte die Angst in ihren Augen gesehen. Vor mir.
Ich blieb stehen und verfluchte mich selbst. Ich wollte Julie doch zum Lachen bringen. Sie beschützen und dafür sorgen, dass es ihr immer gut ging. Und nun ängstigte sie sich vor mir. Warum nur hatte ich sie geküsst? Warum hatte ich das nicht einfach sein gelassen? Es wäre besser gewesen, denn dann wären wir jetzt noch Freunde.
Ich setzte mich auf mein Bett und durchdachte meine Theorien genauer. Wenn Julie wirklich so betrunken gewesen war, hatte der Alkohol sie lockerer gemacht. Vielleicht hatte sie einfach nur mal ein bisschen knutschen wollen. Egal mit wem. Erfahrungen sammeln. Vielleicht hatte ich so schlecht geküsst, dass Julie das gleich mal unter ‚Schlechte Erfahrung‘ verbucht hatte und mich deshalb lieber im Regen stehen ließ.
Die zweite Möglichkeit war, dass Julie mich zwar mochte, aber den Kuss nicht gut fand. Wenn sie dabei nichts hatte spüren können, kein Bauchkribbeln, keine kleinen Feuerwerke in ihrem Bauch und kein Glücksgefühl, dann war dieser Kuss einfach schlecht gewesen. Und wenn der Kuss schon schlecht war, dann malte sie sich sicher aus, dass auch der Rest von mir nicht gut war.
Oder sie log. Gut, darüber brauchte ich nicht weiter nachzudenken. Das ergab nämlich keinen Sinn. Wenn sie lügen würde, dann hatte ihr der Kuss doch gut gefallen. Aber warum sollte sie mir dann ins Gesicht lügen und das Gegenteil behaupten? Mädchen waren zwar kompliziert, aber das ergab nun wirklich gar keinen Sinn.
Plötzlich klopfte es an der Tür.
„Henry?“ Meine Mutter ruckelte an der Türklinke. „Mach doch mal auf!“ Sie rüttelte stärker daran. Als ob davon die Tür aufgehen würde … Ich antwortete ihr nicht. Sie würde schon das Interesse verlieren und dann wieder gehen.
„Du sollst doch nicht abschließen ! Was, wenn dir was passiert? Henry? Du bist doch da! Mach doch mal bitte auf! Was ist denn los? Hallo?“ Nun begann sie zu drücken. Aber auch das hielt das Schloss aus.
Ich verdrehte meine Augen und beugte mich zu meiner Anlage. Mit lauter Musik konnte ich ihre Stimme übertönen. Ich wollte jetzt weder mit ihr noch mit irgendjemand anderem sprechen. Weder über die zu laute Musik, die ja die ach so lieben Nachbarn stören könnte, noch über Julie. Ich wollte noch nicht einmal über irgendwas nachdenken. Über sie oder den Kuss. Dieser Kuss … Ich schloss meine Augen und erinnerte mich wieder daran, wie wir uns geküsst hatten. Mein Magen rumorte und ich legte meine Hand auf den Bauch. Da war es wieder, dieses Kribbeln, wenn ich an jene wunderbaren Momente zurückdachte, die ich mit Julie hatte erleben dürfen. Ich hatte jedes Lächeln, jede Berührung, jede Umarmung von ihr genossen. Sie waren so kostbar und selten, dass dieser Kuss einfach alles übertroffen hatte. Und nun schien es so, als würden wir uns ab sofort aus dem Weg gehen.
„Mach die Tür auf!“ Mein Vater war dazugekommen und hämmerte gegen die Tür. Aber da hielt ich locker dagegen und drehte die Musik noch ein wenig lauter, sodass ich nur noch die Bewegungen der Türklin ke sehen konnte. Es gab einfach Momente im Leben, in denen ich nicht mit meinen Eltern sprechen wollte. War das denn so schwer zu verstehen?
Irgendwann gaben sie auf und ich konnte die Musik wieder leiser drehen. Mein Smartphone blinkte auf. Riefen sie mich jetzt etwa an? Ich griff es mir und schaute nach. Nein. Sophie hatte vor einigen Minuten angerufen. Eine SMS war in meinem Posteingang, auch von ihr.
Melde dich mal bitte! Sophie
Ich überlegte lange, ob ich mich bei ihr melden sollte. Mittlerweile war es kurz nach zehn Uhr, daher rief ich sie nicht zurück, sondern schrieb ihr einfach. Und lange musste ich nicht auf eine Antwort warten.
Ja?
Ich mache
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