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Herzstoss

Herzstoss

Titel: Herzstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
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durch das man durch eine angegilbte Spitzengardine direkt auf das Fenster der Pension nebenan blickte. Die mit lila Blumen gemusterte Tapete wirkte nur unwesentlich gedämpfter als in den Gemeinschaftsräumen, und der Teppich präsentierte sich in einer ausgelaugten Mischung aus Mauve und Braun. Auch nicht ausgelaugter als ich, dachte Marcy, ließ sich auf das zu weiche Bett fallen und betrachtete ihr Bild in dem ungerahmten rechteckigen Spiegel an der Wand gegenüber.
    Du bist wunderschön , hörte sie Vic in ihr Ohr flüstern.
    »Ja, klar.« Sie lachte höhnisch und strich ihr Haar nach hinten.
    »Verzeihung, haben Sie etwas gesagt?«, fragte Colin.
    »Was? Nein. Hab ich?« Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass der Junge immer noch dastand. Wahrscheinlich wartete er auf ein Trinkgeld. Sie kramte in ihrer Handtasche nach Kleingeld.
    »Ist alles okay?«, fragte er nervös und trat von einem Fuß auf den anderen.
    »Ja. Alles in bester Ordnung.«
    »Genießen Sie Ihren Aufenthalt«, sagte er und stieß mit den Schienbeinen gegen ihren Koffer, als er sich zur Tür wandte.
    »Na ja. So übel ist es nicht«, meinte Marcy laut zu sich selbst, nachdem er das Zimmer verlassen hatte, in der Hoffnung, sich mit dem Klang ihrer eigenen Stimme Mut zu machen. Sie war es schließlich gewöhnt, sich über die Wirklichkeit hinwegzusetzen. Wenn sie sich also lange genug versicherte, dass das Zimmer schön und alles in bester Ordnung war, würde sie es zweifelsohne irgendwann glauben. »Ich täusche mich selbst, also bin ich«, flüsterte sie, ging zum Fenster, schob die verstaubte Spitzengardine beiseite und starrte auf das Fenster im ersten Stock der Pension nebenan.
    Sie brauchte etliche Sekunden, bis sie merkte, dass jemand zurückstarrte. Eine junge Frau, wie Marcy erkannte. Eine junge Frau, etwa so groß wie Devon und mit demselben langen braunen Haar. »Devon?«, flüsterte Marcy, als die Frau lächelte und verlegen winkte. Dann tauchte ein Mann an ihrer Seite auf, in den Armen einen zappelnden Säugling. Der Säugling streckte die Hände nach der Frau aus, seine Fingerchen griffen nach ihrem Hals, als sie ihn in ihre Arme nahm und sein Gesicht mit Küssen bedeckte.
    Nicht Devon, wusste Marcy sofort. Devon hatte Kinder nie besonders gemocht. »In dem Punkt geht es mir wie Judith«, hatte sie mehr als einmal gesagt.
    »Du musst aufhören, dir einzubilden, dass jedes Mädchen, das du siehst, Devon ist«, sagte Marcy sich, trat vom Fenster zurück und hob ihren Koffer vom Boden aufs Bett. Nicht jedes Mädchen von Devons Statur – ein hübsches Mädchen mit langen dunklen Haaren und hohen Wangenknochen, das vielleicht den gleichen Gang hatte wie Devon und ihre Zigarette hielt wie sie , hatte Peter gesagt – war ihre Tochter. Sie musste aufhören, so zu denken, sonst würde sie sich nur verrückt machen.
    Zu spät, dachte sie, als sie ihren Koffer auspackte, so viele Sachen wie möglich auf die vier Bügel hängte, die sie in dem winzigen Kleiderschrank fand, und den Rest in die Secondhand-Kommode unter dem Fenster stopfte. Das Bad war so klein, dass die Tür beim Öffnen gegen die Badewanne schlug, und es gab auch kein Schränkchen oder Regal für ihre Toilettenartikel, sodass sie die diversen Cremes, die sie auf Drängen ihrer Schwester gekauft hatte, auf dem Rand des dezidiert funktionalen Waschbeckens aufreihen musste. Nicht dass die Cremes viel nutzen würden, dachte sie, als sie in den kleinen Spiegel über dem Waschbecken blickte und die feinen Fältchen bemerkte, die sich wie ein heraufziehender Sturm um ihre Augen und ihren Mund kräuselten. »Was suchst du eigentlich hier?«, fragte sie laut, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und tupfte es mit dem dünnen weißen Handtuch ab, das an einem Haken hing.
    Zeit für ein kleines Facelifting , hörte sie Judith sagen.
    »Nein danke.« Marcy wich vom Spiegel zurück und stieß dabei prompt gegen die Badezimmertür, deren Knauf sich in ihr Kreuz bohrte wie eine Faust.
    Judith hatte sich ihr Gesicht vor ungefähr sechs Jahren »machen« lassen. »Nur eine kleine Auffrischung«, hatte sie gemeint. »Damit ich nicht so müde aussehe.«
    »Du würdest auch nicht so müde aussehen, wenn du nicht ständig trainieren würdest.«
    »Ich muss in Form bleiben.«
    »Du bist in Topform.«
    »Nur weil ich trainiere. Du solltest wirklich mal mit zum Spinning kommen. Es würde dir bestimmt echt guttun. Und es wirkt Wunder für dein Sexleben.«
    »Mit meinem Sexleben ist alles in

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