Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzstoss

Herzstoss

Titel: Herzstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Platz für drei Autos. Insgesamt sah es aus, als hätte sich der Architekt nicht zwischen einer Vielzahl rivalisierender Stile entscheiden können und deshalb alle integriert.
    Und was jetzt, fragte sie sich, als sie der Straße weiter folgte, umkehrte und aus der entgegengesetzten Richtung wieder auf das gelbe Backsteinhaus zukam. Sollte sie den direkten Weg nehmen, einfach an der Haustür klingeln und nach Shannon fragen?
    »Was soll ich ihr sagen, wer sie sprechen möchte?«, würde Mrs. O’Connor vermutlich fragen.
    Das heißt, wahrscheinlich würde Mrs. O’Connor die Haustür gar nicht persönlich öffnen, entschied Marcy und tauschte die junge Frau ihrer Fantasie gegen eine ältere Version aus. Vielleicht eine Haushälterin, dachte sie und malte sich die Frau in einer steifen grauen Uniform und mit einem strengen Dutt aus. Oder Shannon öffnete selber die Tür. »Die Stille«, wie Kelly sie beschrieben hatte. Marcy stellte sich ein dünnes Mädchen mit heller Haut und rotblonden Haaren vor.
    Am Ende legte sie sich in ihrem Gedankenspiel doch auf Mrs. O’Connor fest.
    »Sie kennt mich nicht«, sah Marcy sich der neugierigen Besitzerin des Hauses erklären. »Aber ich glaube, sie kennt meine Tochter. Das ist ein Foto von ihr. Erkennen Sie sie?«
    »Aber ja, ich glaube, das ist Audrey.« Die imaginäre Mrs. O’Connor blickte von dem Foto ins Haus. »Shannon, kannst du mal einen Moment herkommen? Hier ist jemand, der mit dir über Audrey sprechen möchte.«
    »Wissen Sie, wo ich sie finden kann?«, wollte Marcy, von der gertenschlanken Gestalt wissen, die wenig später auftauchte.
    »Ja, klar. Sie wohnt in der Nähe der Uni«, antwortete Shannon leichthin. »Ich kann Sie hinbringen, wenn Sie wollen.«
    »Das wäre wirklich sehr nett.«
    Marcy fragte sich, ob es wirklich so leicht werden würde, als sie sich der Haustür der O’Connors näherte. Vielleicht lief es auch genau umgekehrt. Vielleicht würde die Person, die ihr die Tür öffnete, sie ihr gleich vor der Nase wieder zuschlagen, wenn sie hörte, warum Marcy hier war. Oder es ihr verweigern, mit Shannon zu sprechen. Oder Shannon würde wie zuvor Liam nur den Kopf schütteln und sagen: »Nein, das ist nicht Audrey.«
    »Es gibt nur eine Möglichkeit, es herauszufinden«, murmelte Marcy, klingelte, nahm dann den Messingtürklopfer in Form eines kleinen Kobolds, schlug ihn mehrmals gegen das schwarze Holz und lauschte mit angehaltenem Atem auf Schritte hinter der Tür. Als sie nicht sofort etwas hörte, klingelte sie erneut. Nach wie vor keine Reaktion. »Verdammt.«
    Es war niemand zu Hause.
    Warum passierte immer das, was man sich nicht ausgemalt hatte? Warum nahmen die Dinge immer einen Ausgang, den man nicht vorausgeahnt hatte? »Ich warte«, entschied sie. Was sollte sie auch sonst tun?
    Sie blickte sich nach einem Platz zum Hinsetzen um, entdeckte jedoch keinen, nicht einmal einen Baumstamm, an den sie sich hätte lehnen können, weil es wie in vielen Neubaugebieten auch hier so gut wie keine Bäume gab. Im modernen Irland war offenbar Grau das neue Grün. Marcy blickte in den bewölkten Himmel. Solange es wenigstens nicht anfing zu regnen, dachte sie.
    Es regnet, es regnet , hörte sie den Gesang ihrer Mutter leise den Hang hinaufwehen. Die täuschend tröstliche Stimme wirbelte um ihren Kopf wie welkes Laub in einer herbstlichen Böe. Es regnet seinen Lauf .
    Marcy eilte den Hügel hinunter, die Schritte länger als notwendig, die Arme entschlossen pendelnd, so als wollte sie ihre Mutter auf Abstand halten. Und wenn’s genug geregnet hat, dann hört’s auch wieder auf , folgte deren Stimme, getragen vom Wind, ihr hartnäckig.
    »Es geht wieder los«, erinnerte Marcy sich, Judith zugeflüstert zu haben. Sie war damals, was … höchstens zwölf?
    »Was geht wieder los?«
    »Mit Mom. Es geht wieder los.«
    »Woher weißt du das?«, hatte Judith gefragt. Obwohl sie zwei Jahre älter war als Marcy, spürte sie die drohende Katastrophe immer später als ihre kleine Schwester.
    »Weil ich es fühlen kann.«
    »Sie ist bloß deprimiert, weil es regnet«, hatte Judith widersprochen. »Du weißt doch, wie persönlich sie das Wetter nimmt.«
    »Ich sage dir, es geht wieder los«, entgegnete Marcy.
    »Mist«, fluchte sie und blieb am Fuß des Hügels stehen. Was machte sie wieder hier unten? Nun musste sie erneut den Berg hochkeuchen. Sie sah auf die Uhr. Fast vier. Vielleicht sollte sie in der Stadt etwas essen und später zurückkommen.
    Aber es war schon

Weitere Kostenlose Bücher