Herzstoss
Mädchen bog tatsächlich in die Auffahrt der O’Connors und ging den von Blumen gesäumten Weg zur Haustür hinauf. Falls sie Marcy am Straßenrand gesehen hatte, ließ sie sich das nicht anmerken.
»Jetzt«, sagte Marcy und wäre beinahe über ihre eigenen Füße gestolpert, als sie unvermittelt losstürzte. »Verzeihung, aber könnte ich Sie kurz sprechen?«, probte sie flüsternd. »Verzeihung«, sagte sie noch einmal lauter.
Aber im selben Moment ging die Haustür auf, und Mr. O’Connor stand auf der Schwelle.
»Na, hallo, da ist ja mein kleiner Engel«, sagte er und nahm das schreiende Baby in den Arm. »Daddy hat seine kleine Prinzessin schon vermisst. Ja, wirklich. Wie war sie heute Nachmittag?«, fragte er Shannon. »Nach wie vor Koliken, wie ich sehe.«
Shannons Antwort hörte Marcy nicht. Die junge Frau sprach zu leise, um sie zu verstehen, zumal der Wind aufgefrischt war und neuer Regen drohte. Mr. O’Connor trug das weinende Baby ins Haus und schloss die Tür, während Shannon den Kinderwagen ums Haus schob.
Eilig überquerte Marcy die Auffahrt, um Shannon auf dem Rückweg zur Haustür abzufangen. Nachdem jedoch mehrere Minuten verstrichen waren, ohne dass sie wieder aufgetaucht war, schloss Marcy, dass es einen Nebeneingang geben musste, was ein Blick auf die Seite des Hauses bestätigte.
Dann klingelst du halt, bittest, Shannon sprechen zu dürfen und zeigst ihr Devons Foto, ermahnte Marcy sich stumm. Wie oft war sie das jetzt schon durchgegangen? Shannon würde entweder bestätigen, dass das Mädchen auf dem Bild ihre Freundin Audrey war oder eben nicht.
Aber was, wenn sie sie erkannte, sich aber weigerte, Audreys Aufenthaltsort zu verraten? Angenommen, Devon hatte ihr schon alles über ihre Mutter erzählt, die sie in jeder erdenklichen Hinsicht enttäuscht hatte, sodass Devon ihren Tod vorgetäuscht hatte, um so weit wie möglich von ihr wegzukommen? Was dann?
Würde sich Shannon ans Telefon hängen, sobald Marcy wieder gegangen war, um Devon zu warnen, dass ihre Mutter in Cork war und irgendwie herausbekommen hatte, dass die beiden befreundet waren. Dass sie die Straßen der Stadt durchkämmte und wildfremden Menschen Devons Foto zeigte, sodass es nur eine Frage der Zeit war, bis jemand sie zu ihr weisen würde?
Was dann?
Würde Devon ohne ein Wort zu irgendwem abhauen und den nächsten Flug nach Spanien, Südamerika oder Australien nehmen? Irgendwohin, wo ihre Mutter sie niemals finden konnte?
Marcy spürte, wie ihre Schultern sackten und ihre Knie weich wurden. Genau das würde ihre Tochter tun, erkannte sie, und deshalb hatte Marcy auch gezögert, sich instinktiv zurückgehalten, Shannon nicht direkt angesprochen und das Risiko gemieden, ihre Tochter erneut zu verlieren. Sie musste geduldig sein. Sie musste abwarten. Abwarten und die Augen aufhalten.
Du wirst immer auf sie warten und nach ihr suchen …, hatte Judith gesagt.
Es hatte angefangen zu nieseln. In ein paar Minuten würde der Regen heftiger werden. Sie musste ein Taxi finden und zurück in die Innenstadt fahren, bevor sie bis auf die Haut durchnässt war. Morgen würde sie zurückkommen. Und übermorgen. Und überübermorgen. Irgendwann, sagte Marcy sich, als sie den Hügel hinuntereilte, würde Shannon sie zu Devon führen.
»Na, da schau her. Wieder hier, was?«, fragte Liam, als Marcy durch die Tür von Grogan’s House trat. Er lächelte, als ob er sie erwartet hätte. »Setzen Sie sich. Ich bring Ihnen einen Tee.« Er wies auf einen leeren Tisch in einer Ecke des vollen Lokals.
Es war noch nicht einmal fünf Uhr, und der Laden brummte schon wieder, wie Marcy bemerkte. Gingen die Leute hier nie nach Hause?
»Und haben Sie Audrey gefunden?«, fragte Kelly, die plötzlich neben ihr auftauchte.
»Nein, aber Shannon.«
»Konnte sie Ihnen helfen?«
»Ich habe nicht mit ihr gesprochen.«
»Wieso nicht?«
»Es ist kompliziert«, sagte Marcy nach einer Pause.
»Was ist kompliziert?«, fragte Liam, stellte eine Kanne dampfenden Tee und zwei Becher auf den Tisch und ließ sich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen. »Was dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze? Ich hab jetzt Pause, und Sie sehen aus, als könnten Sie Gesellschaft gebrauchen. Wissen Sie eigentlich, dass Sie pitschnass sind?«
Marcy zog hastig ihren Mantel aus und nestelte an ihrem Haar. »Ich konnte kein Taxi finden …«
»Lassen Sie Ihre Haare«, sagte er. »So sieht es ziemlich sexy aus.«
Marcy lachte, unwillkürlich geschmeichelt.
»Schon
Weitere Kostenlose Bücher