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Herzstoss

Herzstoss

Titel: Herzstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
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Irgendwas, um sich abzulenken und die Geister der Vergangenheit in Schach zu halten. Sie würde sich eins kaufen, sobald die Läden aufmachten. Und ein neues Handy, entschied sie, trat ans Fenster und starrte durch die verstaubte Spitzengardine auf die geschlossene Jalousie des Fensters gegenüber. Dort stand sie immer noch, als es langsam heller wurde und die Glocken der St. Anne’s Shandon Church den Beginn eines neuen Tages einläuteten.
    Sobald die Läden öffneten, kaufte Marcy sich ein neues Handy und rief Liam an.
    »Habe ich Sie geweckt?«, fragte sie, als sie seine verschlafene Stimme hörte. Was war mit ihr los? Warum hatte sie ihn so früh angerufen? Warum hatte sie ihn überhaupt angerufen, Herrgott noch mal? Er hatte gesagt, dass sie sich ab und zu melden sollte, nicht gleich als Erstes am nächsten Morgen. Was also sollte das jetzt? Nur weil er sich gestern Nachmittag gut zwanzig Minuten zu ihr gesetzt hatte, bedeutete das nicht, dass er sich ernsthaft für ihre Probleme interessierte. Er war von Natur aus ein flirtiger Typ und hatte ihr mit seiner Aufmerksamkeit einen Gefallen tun wollen. Weder sie noch ihre Tochter kümmerten ihn wirklich. Sie hatte ihm nur leidgetan.
    »Ist irgendwas passiert? Haben Sie Audrey gefunden?«
    »Nein. Ich … ich … hab mir ein Handy gekauft«, platzte sie los und ratterte hastig ihre neue Nummer herunter. »Tut mir schrecklich leid, dass ich Sie gestört habe. Ich dachte bloß, so können Sie mich anrufen …«
    »Sobald ich sie sehe«, beendete Liam den Satz für sie. »Versprochen«, fügte er hinzu, als würde er Marcys Bedürfnis nach Bestätigung verstehen. »Und wie sehen Ihre Pläne für heute aus?«
    Marcy erzählte ihm, dass sie vorhatte, sich an der Universität umzusehen.
    »Viel Glück«, sagte er und legte auf, bevor sie sich noch einmal entschuldigen konnte.
    Das würde sie brauchen, dachte Marcy, steckte das Handy in ihre Handtasche und machte sich auf den Weg zum Campus.
    Laut einer Broschüre, die im Besucherzentrum der Universität auslag, war das University College Cork 1845 gegründet worden und zählte aktuell zu den führenden Forschungseinrichtungen Irlands. Der Campus lag auf einem Hügel mit Blick auf den Lee und strahlte eine angenehme Mischung aus Alt und Neu aus. Auf einer malerisch gestalteten Grünfläche mit zahlreichen Bäumen wechselten sich alte, neugotische Gebäude ab mit modernen Bauten aus Glas und Beton. Mehr als siebzehntausend Studenten besuchten die vier Colleges: eins für die Künste, keltische Studien und Sozialwissenschaften; eins für Jura und Betriebswirtschaft; eins für Medizin und eins für Maschinenbau, Natur- und Ernährungswissenschaften. Des Weiteren war die Universität Sitz des irischen Instituts für chinesische Studien, was vermutlich der Grund für die zahlreichen asiatischen Studenten war, die Marcy seit Betreten des Campusgeländes gesehen hatte.
    Weil sie wusste, dass es höchst unwahrscheinlich war, dass Devon sich für ein Studium im Bereich Medizin, Betriebswirtschaft, Ingenieurswesen oder Jura entschieden hatte, konzentrierte Marcy sich gleich auf die Künste. Das Theater hatte ihre Tochter schon immer fasziniert. Seit sie ein kleines Mädchen war, hatte sie davon geträumt, Schauspielerin zu werden, und als Teenager hatte sie häufig davon gesprochen, nach Hollywood gehen zu wollen. Marcy hatte versucht, es ihr auszureden. »Dort wartet ein Leben voller Zurückweisungen auf dich«, hatte sie gesagt.
    Sie hätte Devon mehr unterstützen sollen, dachte Marcy jetzt, als sie die gepflasterte Straße über den Campus hinunterging und die Grüppchen von Studenten betrachtete, die auf den Betonbänken entlang des Weges hockten. Hätte es sie umgebracht, ihre Tochter mehr zu ermutigen?
    »Warum musst du immer so negativ sein?«, konnte sie Devon fragen hören.
    »Ich versuche nur, dich zu beschützen.«
    »Ich will keinen Schutz. Ich will deine Unterstützung.«
    »Verzeihung«, übertönte Marcy ihre wütende Stimme und zeigte ihr Foto einer entgegenkommenden Gruppe junger Frauen. »Kennt einer von Ihnen dieses Mädchen?«
    Die drei Mädchen betrachteten das Bild nacheinander. »Nein«, sagte die Erste, und ihre beiden Freundinnen bestätigten das nickend.
    »Kenne ich nicht«, sagten sie fast im Chor.
    »Vielen Dank. Verzeihung.« Praktisch im nächsten Atemzug sprach sie einen jungen Mann an, der einen Stapel Bücher in den Armen balancierte. »Haben Sie dieses Mädchen schon mal gesehen? Sie heißt Devon

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