Herzstoss
…«
»Nein, tut mir leid.«
»Sie kennen Sie möglicherweise als Audrey.«
»Sorry, nein.«
Und so ging es auch mit allen anderen, die sie fragte.
»Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Ich fürchte nicht.«
»Sorry, nein.«
Manchmal bohrte Marcy auch tiefer. »Könnten Sie sich das Bild bitte noch einmal ansehen? Vielleicht haben Sie ein Literaturseminar zusammen besucht.«
»Ich glaube nicht.«
»Kann ich nicht sagen.«
»Sorry, nein.«
»Haben Sie es schon mal bei der Verwaltung probiert?«, schlug irgendjemand vor.
Kurz darauf stand Marcy in einem Büro der Universitätsverwaltung. »Sie kommt Ihnen nicht bekannt vor?«, fragte sie die Frau hinter dem Empfangstresen.
»Nein, überhaupt nicht. Sind Sie sicher, dass sie Studentin hier ist?«
Marcy gab zu, dass sie sich dessen keineswegs sicher war.
Die Frau gab etwas in ihren Computer ein. »Sie sagten, ihr Name ist Audrey?«
»Ja, genau.«
»Nachname?«
Marcy zögerte. Welchen Namen würde ihre Tochter benutzen? »Ich weiß nicht.«
Die Frau schüttelte den Kopf und schien sich auf einen Punkt links von Marcys Nase zu konzentrieren. »Ich fürchte, ohne einen Nachnamen kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.«
»Probieren Sie Taggart.« Marcy buchstabierte den Namen. »Und wenn es keine Audrey Taggart gibt, versuchen Sie es mit Devon.«
»Audrey und Devon Taggart.« Seufzend tippte die Frau die Namen ein. »Nein, kein Eintrag für beide. Tut mir leid. Haben Sie schon in den anderen Colleges nachgefragt?«
Bis vier Uhr hatte Marcy es bei praktisch jedem Institut auf dem Campus versucht. Sie hatte ihren Kopf in jedes Büro und jeden Hörsaal gesteckt, war jedes Stockwerk und jeden Flur abgelaufen, hatte in jeder Nische und jedem Winkel jedes Gebäudes und hinter jedem Baum auf dem Campus nachgesehen, hatte jeden Studenten, den sie zu fassen kriegte, gebeten, sich das Foto anzusehen. »Mich haben Sie schon gefragt«, murmelte einer von ihnen, als ob sie eine Bettlerin wäre.
Marcy war gerade dabei, den Campus zu verlassen, als sie sie sah.
Das Mädchen stand auf einer Fußgängerbrücke zwischen dem Bachelor’s Quay und der North Mall und starrte scheinbar gedankenverloren ins Wasser. Eine Brise wehte ihr das lange Haar ins Gesicht, sodass sie alle paar Sekunden ein paar verflixte Strähnen aus ihrem Mund streichen musste.
»Devon!«, rief Marcy, doch es ging im Lärm eines vorbeikommenden Wagens unter. Sie rannte die Straße zur Brücke hinunter und kam der für immer verloren geglaubten Tochter mit jedem Schritt näher. »O mein Gott. O mein Gott.« Bitte mach, dass sie sich freut, mich zu sehen, betete sie im Laufen. Bitte lass sie nicht wütend sein. Bitte lass sie mich wieder in den Armen halten.
In diesem Moment hörte sie jemanden rufen, drehte sich um und sah wie aus dem Nichts ein Fahrrad auf sich zukommen. Der Fahrer versuchte verzweifelt, ihr auszuweichen. Doch er fuhr zu schnell, und sie reagierte zu langsam, sodass er von hinten mit ihr zusammenstieß, sie herumwirbelte und von den Beinen holte.
Im nächsten Augenblick lag Marcy wie eine Stoffpuppe auf dem Pflaster, umringt von einer kleinen Menschenmenge. »Alles in Ordnung?«, fragte irgendjemand. »Haben Sie sich etwas gebrochen?« »Können Sie aufstehen?«
Marcy spürte, wie jemand ihr unter die Arme griff und sie auf die Füße zog. »Mir geht es gut«, sagte sie und erkannte ihre eigene Stimme kaum wieder. Was zum Teufel war passiert?
»Sind Sie sicher? Soll ich einen Krankenwagen rufen?«, fragte ein junger Mann, der sich nach vorn drängte.
»Ich brauche keinen Krankenwagen.« Ich muss meine Tochter finden, dachte Marcy, nachdem sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte und aus dem aschfahlen Gesicht des Jungen schloss, dass er der Fahrer des Fahrrads sein musste. Panisch blickte sie zu der Fußgängerbrücke, konnte jedoch nicht über die Köpfe der Passanten hinwegsehen, die stehen geblieben waren, um ihr zu helfen. »Bitte. Ich muss los.«
»Nein«, beharrte der junge Mann und hielt sie mit einem kräftigen Griff an ihrem Arm zurück. »Sie sollten sich kurz hinsetzen. Vielleicht haben Sie eine Gehirnerschütterung.«
»Ich habe mir nicht den Kopf gestoßen. Ich habe keine Gehirnerschütterung. Wenn Sie mir bitte alle aus dem Weg gehen könnten …«
»Sie haben die Dame gehört«, fauchte der junge Mann die Schaulustigen an. »Zurück. Sie braucht frische Luft.« Sofort löste sich die kleine Menge auf, bis nur noch der Junge und Marcy
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