Herzstück mit Sahne: Roman (German Edition)
ich mir die Mühe gemacht hätte, meine Beziehung mit James genauer zu betrachten, hätte ich mir Jahre verschwendeter Gefühle ersparen können. Und wenn ich Ollie gesagt hätte, was ich wirklich für ihn empfinde – wer weiß? Ich hätte mich gewisslich nicht als Gabriel Winters’ Freundin ausgegeben und damit praktisch die ganze Welt belogen.
Das fühlt sich alles überhaupt nicht gut an.
Genau genommen wird es von Tag zu Tag unerträglicher.
Ich muss irgendetwas dagegen tun.
Im Pfarrhaus gieße ich mir ein großes Glas Wein ein und spaziere damit in den Garten – oder vielmehr zu dem Grasstreifen, der als Garten fungiert. Er ist ziemlich verwildert, ein Wirrwarr aus Winden und Gestrüpp; Blüten gibt es nur an den wilden Hundsrosen und der Kapuzinerkresse, die sich über die Trockenmauer hangelt. Ich setze mich auf die Türschwelle, atme die nach Seetang und Grillrauch riechende Luft ein und blicke aufs dunkle Wasser, auf dem sich die Lichter spiegeln. Ein eng umschlungenes Paar tritt aus der Mermaid , bleibt am Kai stehen und blickt lange übers Meer. Die beiden scheinen sich sehr nah zu sein.
Ich denke an Maddy und Richard, die sich im Minibus in den Armen liegen, und an Gabriel und Frankie, die es sich im Smuggler’s Rest gut gehen lassen, und fühle mich entsetzlich einsam.
Ich kippe mir den Wein hinter die Binde und krame mein Handy heraus. Scheiß drauf. Ich rufe jetzt Ollie an. Was habe ich schließlich noch zu verlieren? Er redet ja sowieso nicht mehr mit mir.
Ich wähle seine Festnetznummer und versuche mich innerlich gegen endloses Klingeln oder den Anrufbeantworter zu wappnen. Als er tatsächlich abnimmt, verschlägt es mir fast die Sprache.
»Ollie?«, sage ich. »Ich bin’s. Bitte leg nicht auf. Ich muss unbedingt mit dir reden.«
»Katy?« Ollie hört sich sehr erstaunt und nicht allzu begeistert an. »Hast du eine Ahnung, wie viel Uhr es ist?«
»Es ist Freitagabend«, sage ich. »Ich dachte, du seist noch auf.«
»Es ist ein Uhr«, seufzt Ollie. »Ich hab schon geschlafen. Ganz ehrlich, das ist ziemlich rücksichtslos. Wochenlang höre ich von dir nur über die Klatschpresse, und dann rufst du mitten in der Nacht an.« Ich höre die Bettfedern quietschen, als er sich aufsetzt. »Was willst du?«
»Ich habe immer wieder versucht dich anzurufen. Und ich habe dir einen Brief geschrieben.« Ich fühle mich furchtbar ungerecht behandelt. Wenn er wüsste, wie oft ich ihn angerufen und mit der Fiesen Nina gesprochen oder Nachrichten auf dem AB hinterlassen habe. Und dann der Brief. Wenn ich nur daran denke, wie ich da mein Herz ausgeschüttet habe, wird mir ganz heiß vor Scham. »Du bist nie zu Hause, und dein Handy ist ständig ausgeschaltet.«
»Das Handy habe ich schon vor Monaten verloren«, sagt Ollie. »Weiß der Himmel, was damit passiert ist. Ich hab es bislang nicht ersetzt, weil ich die Ruhe ziemlich genossen habe.« Er gähnt laut, und ich sehe ihn förmlich vor mir: die Haare, die chaotisch hochstehen, und die rosa Zunge hinter den leicht schiefen Zähnen.
Ist es nicht komisch, dass ich Ollies schiefe Hauer viel süßer finde als Gabriels perlweiße Beißerchen?
»Und?«, knurrt Ollie ungehalten, als ich schweige. »Was ist los? Muss ja echt dringend sein, da du uns aufgeweckt hast. Oder bist du besoffen?«
Uns? Dann muss Nina bei ihm sein. Meine Vision von Ol in Boxershorts und krumpligem T-Shirt wird verdrängt durch das Bild von Nina im Seidennachthemd, die sich mit gestählter Idealfigur um Olli schlingt wie eine Designerpython.
»Tut mir leid«, flüstere ich. »Es ist nur … ich wollte nur …«
Mein Hals ist wie zugeschnürt, meine Augen brennen, und ich umklammere das Handy so krampfhaft, dass ich das rosa Plastik knacken höre.
»Ich vermisse dich.« So, jetzt ist es raus.
»Ach ja?« Ollie wirkt nicht sonderlich erfreut. »Wundert mich, dass du überhaupt Zeit hast, bei deinem neuen Promi-Lebensstil irgendjemanden zu vermissen.«
»Das ist alles nicht so, wie es aussieht. Ich hab dir doch geschrieben, du sollst Frankie fragen.«
»Als würde ich den jemals noch zu Gesicht kriegen, seit er in diesem Star-Zirkus zugange ist. Und du bist weitergezogen und aufgestiegen, Katy. Die Schule ist inzwischen bestimmt eine fremde Welt für dich.«
»Die Schule vermisse ich auch«, krächze ich.
»Heiliger Strohsack. Du bist auf jeden Fall besoffen, wenn du die Schule vermisst. Ich kann’s kaum erwarten, da abzuhauen.«
»Du hörst auf?«
»Zum Schuljahrsende«,
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