Herzstück mit Sahne: Roman (German Edition)
auch meinen Verlobten eingebüßt habe.
Ich scrolle durch die Namen in meinem Handy und halte Ausschau nach Leuten, an die ich mich in einer solchen Krise wenden kann. Denen es nichts ausmacht, wenn die rotznasige, rotäugige Katy mit ihrem verpfuschten Leben auftaucht und ein paar Tage schniefend bei ihnen herumhängt; die James einen Dreckskerl schimpfen, mir ohne Ende Tee kochen und mich bemitleiden werden.
Ollie? Kommt nicht infrage. Noch so ein Auftritt wie heute Morgen, und ich kann mir die Kugel geben.
Meine Schwester Holly? Mein Finger schwebt über der Taste. Bin ich wirklich in der Verfassung für ihre dunkle Wohnung in Cambridge, ihre Begeisterung für Mathe und die langen psychoanalytischen Gespräche, die Holly gerne mit ihren intellektuellen Freunden führt? Da es mit meiner geistigen Kondition etwa so weit her ist wie mit meiner körperlichen, ist mir das momentan zu anstrengend.
Maddy? Kann ich es ertragen, diese ganze Moritat in Anwesenheit des heiligen Richard zu erzählen? Ich glaub, da beiß ich mir lieber die Zunge ab.
Tante Jewell? Sie würde mich aufnehmen, ohne Fragen zu stellen, aber das kann ich ihr in ihrem Alter nicht antun. Oder vielleicht doch … wenn ich nur ein paar Tage bleibe? Wir könnten Pink Gin süffeln, über den Krieg reden und uns den ganzen Tag lang Comedys im Fernsehen reinziehen. Das wäre jetzt genau das Richtige für mich.
Mein Finger senkt sich und drückt die Taste. Mit pochendem Herzen horche ich auf das Freizeichen und stelle mir vor, wie das Telefon in der schwarz-weiß gekachelten Eingangshalle des Hauses in Hampstead klingelt. Ich warte und warte, aber niemand meldet sich. Jewell könnte natürlich überall sein. In St. Tropez, bei meinen Eltern oder splitternackt beim Meditieren im Salon (fragt lieber nicht).
Dreck. Es läuft also auf eine Kartonbehausung unter der Waterloo Bridge raus.
Und wie ich mein Glück kenne, sind die wahrscheinlich alle besetzt.
Die frühe Morgensonne sieht ziemlich bleich aus, und am Himmel ziehen haufenweise zitronengelbe Wolken auf. Ein kühler Wind trägt die letzten Reste von Jake und Millandra davon, und erste Regentropfen pladdern auf die Müllsäcke. Aus Erfahrung weiß ich, dass es vermutlich gleich einen dieser typischen Londoner Regenfälle geben wird, bei denen man auskühlt bis auf die Knochen, Autos durch Pfützen tuckern und die Leute sich mit gesenktem Kopf vorwärtskämpfen. Nicht gerade die ideale Witterung, um mit meinem gesamten Hab und Gut auf der Straße zu sitzen. Mit einem tiefen Seufzer beschließe ich, dass ich wohl besser die Müllsäcke zusammenpacken und mir im Eilverfahren eine Bleibe suchen sollte, da es nicht den Anschein hat, als ob James sich meiner erbarmen wird. Er hat im Gegenteil die Jalousien runtergelassen und die Stereoanlage aufgedreht.
Na, dann viel Spaß.
Danke für die vier Jahre, Katy!
Und fürs regelmäßige Blasen.
Dreckskerl.
Es ist ein ziemlich trauriger Zustand, mit annähernd dreißig obdachlos in der Gosse zu hocken, in Gesellschaft von Mülltüten, in denen sich die letzten vier Jahre des eigenen Lebens befinden. Ich zerre die Säcke auf den Gehweg und fange beinahe zu heulen an, als die ersten aufplatzen und sich der Inhalt auf dem Asphalt verteilt. Scheiß auf Richard, beschließe ich grimmig, ich muss jetzt Maddy anrufen.
Ich krame in meiner Handtasche herum, um mein Handy ausfindig zu machen, als neben mir mit penetrantem Reifenquietschen und Hupengetröte ein Wagen zum Stehen kommt. Ein uralter gelber Ford Capri mit Melodiehupe à la Ein Duke kommt selten allein, der mich nur knapp verfehlt. Der beißende Geruch von verbranntem Gummi liegt in der Luft, und auf dem Asphalt zeichnen sich beachtliche Bremsspuren ab. Ich rette mich mit einem Riesensatz. Gott sei Dank hab ich die Säcke schon aus dem Weg geschafft und mich selbst auch, sonst gäbe es jetzt nur noch einen fetten Katy-Fleck. Diese Genugtuung will ich James echt nicht geben.
Ich grüße den Höllenfahrer, der mich um ein Haar von meinem Elend erlöst hätte, mit dem Siegeszeichen. Na toll. Abserviert und obdachlos und nun auch noch Opfer eines gewalttätigen Übergriffs. Was ich in meinem vergangenen Leben alles angerichtet haben muss, um dieses beschissene Karma verdient zu haben, möchte ich lieber nicht wissen.
»So viel zu Dankbarkeit!« Die Fahrertür öffnet sich quietschend, und Frankie entfaltet seine langen Gliedmaßen. Laute Furzgeräusche ertönen, als sich seine Lederhose von dem fiesen
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