Herztod: Thriller (German Edition)
schrieb sie auf, übersetzte und prüfte ein ums andere Mal, ob ihm unter Umständen ein Grammatik-, Vokabel- oder sonstiger Schnitzer unterlaufen sein könnte, der zu einem verzerrten oder gar falschen Verständnis geführt hatte.
Nein, er war sicher, keinen Übertragungsfehler gemacht oder sich schlicht verhört zu haben, und somit blieb auch sein erster Eindruck haften – ein eingeleitetes Adoptionsverfahren oder die Vermittlung zu Pflegeeltern zog ein anderes Prozedere nach sich als ein heimliches Gespräch unter vier Augen. Und natürlich wurden die Kinder einem Gesundheitscheck unterzogen, doch in der Regel trafen die zukünftigen Eltern zunächst eine Auswahl. Roman hatte noch nie davon gehört,dass die ärztliche Untersuchung Priorität vor allem anderen hatte. Jeder hat seinen Preis. Zwei Kinder zwischen sechs und acht Jahren. Untersucht und ausgewählt. Papiere mit dem richtigen Stempel. Bis dahin kein Wort.
Inzwischen lag das Gespräch etliche Wochen zurück. Roman hatte sich nach einigen Tagen Grübelei vorgenommen, die Geschichte zu vergessen. Was sollte er auch sonst machen? Letztlich war es ganz einfach – er hatte keine Unterhaltung zu belauschen, und was ihm merkwürdig schien, würde bei anderen entweder nur ein Achselzucken hervorrufen oder eine ähnliche Mischung aus dumpfem Unwohlsein und Verwirrung, womit aber niemand etwas anfangen konnte oder wollte. Ihm blieb nur noch eine kurze Zeit in Sankt Petersburg, die er gemütlich austrudeln lassen würde, um dann für ein paar Tage in seine Heimatstadt nach Lüneburg zurückzukehren und seinen Umzug nach Hamburg vorzubereiten, wo er den Rest des Sommers jobben und ab dem Wintersemester studieren wollte – Erziehungswissenschaften, wenn alles klappte.
Als Pawel und Jakow an einem schönen Julitag abgeholt wurden, war er gerade mit einer Kindergruppe unterwegs, und von dem Gesundheitscheck, der eine gute Woche zuvor stattgefunden hatte, erfuhr er erst im Nachhinein und durch Zufall. Roman wertete dies als richtungsweisendes Zeichen: Die Adoptionsrichtlinien in Russland gingen ihn nichts an. Ende.
Wenige Stunden vor seiner Rückkehr nach Deutschland bat ihn der Heimleiter in sein Büro, um sich mit herzlichen Worten von Roman zu verabschieden und ihm alles Gute für die Heimreise und die Zukunft zu wünschen. »Du hast ein Herz für Kinder bewiesen«, meinte er vollmundig auf Russisch, wobei er auf eine klare Aussprache achtete, und Roman dankte seinerseits für die lehrreiche Zeit – auch auf Russisch.
Als das Handy klingelte, hob Ilja Illosewitsch entschuldigend die Hände und eilte mit dem Telefon am Ohr ins Nebenzimmer. Bevor er die Tür hinter sich schloss, wies er auf die bereitgestellten Teetassen neben dem Samowar und bedeuteteRoman mit lebhafter Gestik, sich schon mal zu bedienen. Der goss sich ohne Zögern eine Tasse ein und trank in langsamen Schlucken, während er ein paar Schritte durch den Raum machte und schließlich vor Iljas zerschrammtem, aber aufgeräumtem Schreibtisch stehenblieb – zwei überschaubare Aktenstapel, ein Notizblock, ein leise summender Monitor der vorvorletzten Generation, dessen Bildschirmschoner sich gerade eingeschaltet hatte. Einen Moment lang verfolgte Roman die einzelnen Bilder der Fotoserie mit Sehenswürdigkeiten aus St. Petersburg: Kunstkammer, Eremitage, die Newa und ihre Brücken, Auferstehungskathedrale …
Roman stellte seine Tasse ab, sein Blick streifte die oberste Akte des hinteren Stapels. Sie enthielt Vermittlungs- und Adoptionsverfahren des laufenden Jahres, wie er der Aufschrift entnahm. Er sah zur Tür, hinter der Iljas Stimme nur gedämpft zu hören war; es ging um bürokratischen Kram, wenn ihn nicht alles täuschte. Ich will nur wissen, wo Pawel und Jakow hingekommen sind, dachte Roman – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Er wunderte sich einen Augenblick über die Klarheit dieses Gedankens, dann hob er den Aktendeckel, griff nach seinem Handy und aktivierte die Kamera, um die beiden Schriftstücke zu fotografieren.
Zehn Sekunden später saß er wieder auf seinem Platz vor dem Schreibtisch, und Ilja kehrte in sein Büro zurück, um mit seiner Lobes- und Abschiedshymne von vorne zu beginnen. Roman lächelte höflich, sie tranken noch zwei Tassen Tee, und später umarmten die beiden sich herzlich. Auf dem Weg zum Flughafen warf Roman einen ersten prüfenden Blick auf seine Schnappschüsse und stellte fest, dass die Dokumente nicht nur offiziell wirkten, sondern auch die Namen der
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