Herztod: Thriller (German Edition)
Eltern sowie die neuen Anschriften der Kinder in St. Petersburg beinhalteten. Guck ich mir auf Googlemaps an, wenn ich wieder zu Hause bin und meine Fotos sortiere, dachte er, und Erleichterung durchströmte ihn.
Nach fast einem Jahr Russland genoss er die Zeit im Familien-und Freundeskreis, ließ sich verwöhnen und plante währenddessen bereits den nächsten Aufbruch. Wenige Tage nachdem er ein Zimmer im Studentenwohnheim in Groß Flottbek bezogen hatte, kam Roman endlich dazu, sich mit seinen Fotos zu beschäftigen und sie auf seinem Laptop zu ordnen. Er gehörte nicht zu den Leuten, die zehnmal dasselbe Gebäude oder dieselbe Person fotografierten, nur weil das Licht gewechselt hatte, und er war ganz und gar nicht der Meinung, dass zu einer Reise-Fotodokumentation auch das Ablichten der jeweiligen Mahlzeiten gehörte, die womöglich dann noch bei Facebook hochgeladen wurden, um dreißig Kommentare nach sich zu ziehen. Roman war sparsamer und kein Drauflosknipser, aber in all den Monaten war doch einiges an Bildmaterial zusammengekommen, und er schwelgte eine ganze Weile in Erinnerungen, lachte, schmunzelte und schwor sich, ehemalige Mitstreiter und neue Freunde gleich am nächsten Tag zu kontaktieren.
Es war mitten in der Nacht, als er schließlich auf die Handyfotos mit den abgelichteten Adoptionsdokumenten stieß und lediglich der Vollständigkeit halber die neuen Adressen der beiden Jungen eingab. Dann erlebte er eine böse Überraschung: Beide Anschriften existierten nicht.
Obwohl er noch eine ganze Weile andere Schreibweisen ausprobierte und sein Navi mehrfach zu Rate zog, wusste er längst, dass sich nicht nur seine dumpfe Ahnung bestätigt hatte, sondern er nun auch etwas unternehmen musste.
6
Schaubert warf den Hörer auf. Nichts. Eine erneute Anfrage bei den zuständigen Polizeidienststellen an Flughäfen, Grenzübergängen und Bahnhöfen hatte nichts gebracht, auch Caroline Meisners Auto war nirgendwo erfasst worden. Er biss sichauf die Unterlippe. Die Psychologin sah Gespenster, dessen war er sicher, ohne jedoch hundertprozentig davon überzeugt zu sein. Rein ermittlungstechnisch war ihm und den Hamburger Kollegen nichts vorzuwerfen – keine Hinweise auf ein Verbrechen, keine Ermittlung. Hierzulande hatte nun mal jeder Erwachsene das Recht, seinen Aufenthaltsort frei zu wählen, und war nicht verpflichtet, sich bei wem auch immer abzumelden. Die Frau hatte noch dazu Urlaub, warum sollte sie nicht einfach mal alle fünfe gerade sein lassen, auch oder gerade weil Opa seinen neunzigsten Geburtstag feierte?
Andererseits wusste Schaubert aufgrund einiger behutsamer Nachfragen, dass die Jakob keine überkandidelte Psychospinnerin war, die händeringend darum kämpfte, einen Fall zu kreieren. Sie war gelernte Kommissarin – das allein sprach schon mal sehr für sie –, und sie kokettierte auch nicht mit ihrer BKA-Plakette und ihrem Status als Sonderermittlerin. Davon abgesehen stimmte ihn die Sache mit dem Liebhaber durchaus nachdenklich, zumal die Kollegen vom Revier in Altona es schlicht verpennt hatten, den Nachbarn zu einem späteren Zeitpunkt zu befragen. Und last but not least: Schaubert würde gar nicht gut aussehen, wenn er tatenlos auf seinem Standpunkt beharrte, und zwei Tage später würde Meisners Leiche gefunden werden. Dann spielte es nämlich keine Rolle mehr, dass es zuvor keine ermittlungsrelevanten Hinweise gegeben hatte, und der Dumme war einzig und allein er – bitter, aber wahr.
Er sah auf die Uhr und zog die oberste Schreibtischschublade auf. In der hintersten Ecke hatte er eine Schachtel Zigaretten versteckt – für den Notfall. Er hatte das Rauchen vor drei Jahren aufgegeben, war jedoch vor sechs Monaten wieder schwach geworden – anlässlich eines widerlichen Tötungsdeliktes, das ihn Schlaf und Nerven gekostet hatte. Seinerzeit hatte er mit sich selbst die Abmachung getroffen, dass er in besonders heiklen Fällen oder bei großer Anspannung seiner alten Sucht frönen durfte, allerdings in einem festlegten Rahmen:Die Schachtel musste für eine Woche reichen. Bislang hatte er sich daran gehalten, obwohl er zwanzigmal am Tag ans Rauchen dachte.
Er stellte sich ans offene Fenster und zündete die Zigarette an. Nichts ging über das satte, warme Gefühl, das ihn durchströmte, sobald er den Rauch inhalierte. Das zärtliche Knistern der verglühenden Asche streifte sein Ohr. Er schloss kurz die Augen. Während des fünften Zuges klingelte sein Handy. Schaubert lächelte
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