Herztod: Thriller (German Edition)
Hinweise zu finden, die Hannahs These stützten und ihnen die Möglichkeit gab, zielgerichtet zu agieren.
»Gut. Ich schicke Ihnen zur Ergänzung ein Protokoll meiner Gespräche«, entgegnete sie schließlich und stand auf, um sich zu verabschieden. Kotti ließ den Rest seines Hundekuchens liegen und trabte neben ihr zur Tür hinaus.
Es war voll am Hafen. Kotti blieb dicht neben ihr. Die Idee der Hafenrundfahrt gefiel ihm gar nicht, aber als Hannah im Strom einer Touristengruppe ins Boot stieg, zögerte er kaum länger als einen Augenblick und verkroch sich anschließend unter der Sitzbank.
Wenige Tage vor Livs Verschwinden hatte Hannah gemeinsam mit Frieder eine Hafenrundfahrt gemacht, um ihm zu sagen, dass er Vater werden würde. Der Kapitän hatte gerade etwas über die Speicherstadt erzählt, die an beiden Seiten neben ihnen aufragte, der Wind war durch ihr Haar gefahren, und Frieder hatte sie mit offenem Mund angestarrt. Sie konnte sich noch genau daran erinnern, wie sie ihm mit zitternder Stimme versichert hatte, dass sie das Kind bekommen würde – und zwar ohne an eine Partnerschaft oder gar Ehe mit ihm auch nur zu denken. Er war erleichtert und entrüstet zugleichgewesen – beide Reaktionen waren wie Licht und Schatten immer wieder über sein Gesicht geflackert –, und so schwer und außergewöhnlich die Situation für sie beide damals war: Niemand hatte ermessen können, was in Liv vorgegangen war.
Habe ich je verstanden, was sie bewegte?, überlegte Hannah. Ich habe ja nicht einmal mitbekommen, dass sie in Frieder verliebt war, das offenbarte sich erst während des Streits. Oder etwa doch? Waren wir auch in diesem Bereich von Anfang an Konkurrentinnen, und ich habe mir das nur nie eingestanden, um meine Verantwortung und damit meine Schuldgefühle zu mindern?
Schwestern sind sich häufig nicht grün – das zumindest ist meine Erfahrung, und ich weiß, wovon ich spreche, denn ich habe auch zwei Schwestern, die sich immer wieder in den Haaren liegen, seit ihrer Kindheit. Caroline ist eine attraktive, selbstbewusste Frau, und Martina macht sich oftmals kleiner, als sie ist, schossen ihr Daniel Grubers Worte durch den Kopf. Ging es wie so häufig auch hier um eine Familientragödie? Rudi Meisner hatte behauptet, dass seine Enkelin immer einen kühlen Kopf behalten würde. Und ein kühles Herz , hatte Martina leise hinzugefügt. Was nahm sie ihrer Schwester übel? Mangelndes Mitgefühl nach ihrer Fehlgeburt? War sie eifersüchtig? Auf was und wen genau? Was für ein Leben hatte Caroline tatsächlich geführt? Im Alltag die kompetente Bibliothekarin mit Karriereambitionen, in ihrer Freizeit entweder auf Reisen, in ihrer schicken Wohnung mit einem Liebhaber beschäftigt, über den sie kein Wort verlor, oder zu Besuch bei der Familie.
Sowohl ihre Schwester Martina als auch deren Lebensgefährte wirkten bei aller Sorge sachlich und gefasst, keineswegs bestürzt wie die Eltern und der Großvater. Daniel Gruber war garantiert kein Fan seiner Schwägerin, und ihr Kollege Christoph Thiele hatte seine Vorbehalte in eindeutiger Weise formuliert. Die anderen Kollegen zeichneten in ihren Beschreibungen ein einhellig sympathisches, aber sehr allgemeines Bild, und die anhängliche Annette Pape war dankbar, dassCaroline ihr die Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ, die sonst niemand für sie übrig hatte – was auch immer sie dazu bewog.
Wir müssen herausfinden, mit wem Caroline liiert war, grübelte Hannah zum wiederholten Male, aber ohne Durchsuchungsbefehl, der auch den Laptop mit einschloss, sah sie im Moment nicht den Hauch einer Chance, dem geheimnisvollen Liebhaber näher zu kommen oder ihn gar aufzuspüren. Aber vielleicht hatte Schaubert ja doch noch ein Ass im Ärmel.
»Wir kriegen die Papiere, sobald die Namen eingetragen werden können. Mit dem richtigen Stempel natürlich. Zwei Kinder zwischen sechs und acht Jahren für die Vermittlung. Genau so, wie du es wolltest.« Das waren Igors Worte gewesen, an die Roman sich wörtlich erinnerte, worauf der andere Mann erläutert hatte, dass die Kinder untersucht und ausgewählt werden müssten und bis dahin Stillschweigen zu herrschen hatte.
Roman hatte noch einige Minuten in der Kammer ausgeharrt, um dann hastig seine Arbeit zu beenden und ins Studentenwohnheim zu fahren, wobei er darauf achtete, dass Igor ihn nicht mehr zu Gesicht bekam. Die wenigen Sätze hallten wie ein Mantra in ihm wider. Kaum hatte er sein Zimmer betreten, eilte er an den Schreibtisch,
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