Herztod: Thriller (German Edition)
es allerdings darum ging, auf die Schnelle erste Erkenntnisse zu gewinnen und einen Ansatzpunkt zu finden, der die aktuellen Recherchen vorantrieb, musste es einen anderen Weg geben, an Informationen zu gelangen. Decker nahm sich zunächst die Ausgaben für Reisen und Werbemaßnahmen vor und fand heraus, dass mit keiner Rechnung ein Bezug zu Russland hergestellt werden konnte, zumindest was die Zahlen der vergangenen zwei Jahre anbetraf. Und da es, wie Gerd Kuse richtig bemerkt hatte, überhaupt kein Problem darstellte, von Helsinki aus nach Sankt Petersburg einzureisen, waren die Möglichkeiten, Spuren zu verfolgen, eingeschränkt; dafür gab es zahlreiche Varianten, sie zu verwischen. Hinzu kam, dass ein Mann wie Biltner garantiert mit verschiedenen Ausweisen unterwegs war.
Die Personaldaten der im Unternehmen angemeldeten Mitarbeiter und Aushilfskräfte waren hochinteressant. Michael Folk gehörte dazu, Roman Söhler jedoch nicht, doch ein anderer Aspekt schien Decker bedeutsamer. Seitdem Sascha Biltner vor vier Jahren in die Geschäftsführung aufgestiegen war, hatte es eine deutliche Fluktuation gegeben, und als er die Firma schließlich ganz übernahm – finanziert war der Kaufpreis durch einen banalen Bankkredit, dessen Modalitäten keine Erwähnung fanden –, wurden innerhalb der folgenden anderthalb Jahre zahlreiche Stellen neu besetzt. Die gekündigtenMitarbeiter waren mit großzügigen Abfindungen bedacht worden, und in keinem einzigen Fall hatte das Ausscheiden zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen geführt.
Kommissar Decker notierte vier Namen, zwei Frauen, zwei Männer, die aus Hamburg und Umgebung stammten und im Laufe eines Jahres gekündigt worden waren, und besprach den Aspekt mit OK-Leiter Grismann. Der teilte seine Ansicht, dass es sich lohnte, Kontakt mit den Leuten aufzunehmen.
15
Gerd Kuse saß fast zwei Stunden in seinem von der Augustsonne aufgeheizten Wagen und döste bei offenem Fenster vor sich hin, ohne dass sich etwas tat. Weder Roman Söhler noch Michael Folk ließen sich blicken. Als er sich gerade entschieden hatte, einen Rundgang im Studentenwohnheim zu machen, rief Stefanie Hobrecht an. »Der Junge hat in einem Kinderheim in Sankt Petersburg gearbeitet«, sagte sie schlicht. »Die Info ist gerade hereingekommen.«
»Und nun? Was fangen wir damit an?«
»Kollegin Jakob meint, dass du versuchen sollst, Kontakt mit ihm aufzunehmen – behutsam. Vielleicht hat er was zu sagen.«
»Vielleicht. Und wenn er …«
»Guck ihn dir an. Wenn er Angst hat, wirst du das merken.«
Da war was dran. »Okay.«
Kuse stieg aus und schlenderte ins Hauptgebäude. Am Schwarzen Brett hing ein Zimmerplan, auf dem Söhler eingetragen war – Apartment zwölf. Aber dort rührte sich nichts, als er klopfte. Kuse wartete zwei Minuten und ging dann in den Gemeinschaftsraum, wo einige Leute bei lauter Musik Billard spielten, andere im Netz surften oder sich unterhielten. Die Tür zum Garten stand auf.
Kuse warf einen raschen Blick durch den Raum und entdeckte Söhler, der in ein offensichtlich angeregtes Gespräch mit einer langbeinigen Studentin vertieft war, aber sofort aufsah und den Kommissar registrierte. Er stellte sich so, dass er Kuse im Auge behalten konnte. Der spazierte langsam näher. Mit jedem Schritt in seine Richtung verstärkte sich Söhlers Aufmerksamkeit, wandelte sich in Wachsamkeit und schließlich in deutliche Unruhe. Kuse hielt seinen Blick fest und nickte ihm zu, als würden sie sich kennen. Söhler runzelte die Stirn und trat eilig einen Schritt zurück, während die junge Frau ihn verwundert ansah.
»Herr Söhler?«, sprach Kuse den Studenten freundlich an.
»Wer will das wissen?« Das klang pampig, aber in Söhlers Stimme schwang ein deutlich hörbares Zittern mit.
»Gerd Kuse. Kann ich Sie einen Moment sprechen?«
»Ich wüsste nicht …«
»He, sei doch nicht so unfreundlich, Roman«, empfahl die junge Frau. »Entspann dich, wir können auch nachher weiterreden.« Sie legte ihm kurz die Hand auf den Arm, nickte Kuse zu und ging hinaus in den Garten. Ein zarter Parfumduft blieb zurück – Orange und Kiwi, schätzte Kuse, ohne sicher zu sein. Er hatte schon lange kein schönes Frauenparfum mehr in der Nase gehabt.
Söhler schluckte. »Was wollen Sie?« Tiefe Ringe hatten sich unter seinen Augen eingegraben, das dunkle Haar ließ ihn zusätzlich blass erscheinen. Der Junge wirkte schmal, abgezehrt und übernächtigt.
Und ob der Angst hat, dachte Kuse, und zwar nicht erst
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