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Hesmats Flucht

Titel: Hesmats Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Boehmer
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Leiter der Polizeistation vor ihnen aufbaute, setzte sich der rostige Zug draußen vor der Tür gerade wieder in Bewegung.
    »So, Burschen«, sagte er. »Jetzt werden wir über euer Schicksal reden.«
    Immer schneller rollten die Waggons an ihnen vorbei, bis der letzte Waggon aus dem Fenster hinter dem Polizisten, der auf sie einredete, verschwunden war. Das Echo des sich entfernenden Zugs lag noch für einige Momente in der Luft, ehe das Surren des Deckenventilators und das ferne Tippen auf einer Tastatur die Zuggeräusche ablösten. Er wusste nicht einmal, wo sie waren. Sie saßen irgendwo in einer Polizeistation in Tadschikistan. Der Polizist hatte nicht nur seinen Pass und seinen Rucksack, sondern auch seinen Mut und seine Hoffnungen mitgenommen. Ein zweiter Polizist brachte einen Stapel Akten.
    »Bring sie raus!«, befahl er seinem Kollegen und blickte den beiden streng in die Augen. »Wir werden heute Abend weiterreden.«
    Der Polizist hielt sein Versprechen. Als es dunkel wurde, kam er zurück. Wortlos warf er ihnen die Sachen zu, die er ihnen abgenommen hatte. Er tippte die Namen, die sie erfunden hatten, in den Computer und steckte sich eine Zigarette an. Dann hielt er inne und sah sie lange an. »Wenn ihr meint, dass das wirklich eure Namen sind, bitte …« Als sie fertig waren, drückte er die Zigarette auf dem Boden aus, stand auf und verpasste Fahid eine Ohrfeige, dass er von seinem Stuhl flog. »Und jetzt raus auf den Hof mit euch beiden.«
    Bis spät in die Nacht putzten und schrubbten sie die Polizeistation, den Platz hinter dem Haus und die leeren Zellen im
Hof. Erst spät bemerkten sie, dass sie niemand bewachte, und überlegten kurz abzuhauen.
    »Und wohin?«, fragte Fahid. »Ich habe keine Ahnung, wo wir sind, und auch keine Lust, noch mal von den Polizisten aufgegriffen zu werden.«
    Schließlich legten sie sich unter einen Baum im Hof. Fahid schlief sofort ein, während Hesmat noch betete. Er spürte keinen Hunger, der Ärger und die Mutlosigkeit waren zu groß.
    »Steh auf, du faule Sau!«, schrie der Polizist. »Arbeite gefälligst!« Mit seinen schweren Stiefeln trat er seinen Freund aus dem Schlaf. Verzweifelt versuchte Fahid, sich mit den Händen vor den Tritten zu schützen, bis der Mann sich Hesmat vornahm, der gerade schlaftrunken auf die Beine zu kommen versuchte. Immer wieder stürzte er, wollte wieder aufstehen und wurde von einem neuen Tritt in den Dreck befördert. Dann packte der Polizist Hesmat am Kragen und schleifte ihn quer über den Hof. »Das nennst du sauber, du Schwein?«, schrie er.
    Sie mussten von vorne anfangen. Als dann der Morgen längst schon in einen neuen heißen Tag übergegangen war und der Hunger unerträglich wurde, bettelten sie um Essen. Der Polizist, der sie aus dem Schatten beobachtet hatte, zuckte nur mit den Schultern. »Seht ihr hier irgendwo Essen? Also, geht mir nicht auf die Nerven. Ihr wisst ja, wo das Wasser steht.«
    Bachtabat hatte eine halbe Stunde vergeblich verhandelt. »Er will mehr Geld«, erklärte er schließlich, als er ans vergitterte Fenster trat.
    »Und was tust du jetzt?«, fragte Fahid, der sich auf die Zehenspitzen gestellt hatte, um mit dem Schlepper durchs Fenster zu reden.

    »Nichts«, sagte er. »So wie ich die Typen kenne, werden sie euch mit dem nächsten Zug zurückschicken.«
    »Wie hast du uns überhaupt gefunden?«, fragte Hesmat.
    »Khalil hat mich angerufen. Er hat mir gesagt, wo sie euch geschnappt haben. Schlaft weiter«, sagte er, »der Zug kommt erst nachmittags, hier kann ich nichts für euch tun.«
    Fahid fragte ihn nach Essen.
    »Siehst du hier irgendwo Essen?«, lachte Bachtabat und zuckte die Schultern. »Ihr werdet schon bis Duschanbe warten müssen, bis ihr wieder etwas zu futtern bekommt.«
    Hesmats Brustkorb schmerzte bei jeder Bewegung. Seine ganze rechte Seite war blau von den Fußtritten des Polizisten. Er wollte einfach weg von dieser Polizeistation, nur weg von den Polizisten.
    Die Hoffnungslosigkeit fuhr mit ihnen im Zug zurück nach Duschanbe. Nur verschwommen nahm Hesmat die Landschaft wahr, über die er sich vor zwei Tagen noch so gefreut hatte, die er in seinen Erinnerungen mit nach Europa hatte nehmen wollen.
    »Ihr seid ihm nicht viel wert«, hatten die Polizisten gesagt, als sie die beiden Freunde aus der Zelle holten. »Euer Freund ist ein Geizhals!«, lachten sie und begannen, Ohrfeigen auszuteilen.
    »Gib mir deine Uhr!«, befahl einer schließlich Hesmat.
    »Niemals!«, schrie er. »Ich

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