Hesmats Flucht
Afghanistan zurückmüssten.
Die Stechmücken waren fast noch schlimmer als die Polizisten. Keine Frage, kein Schlag schmerzte wie die Mücken, die kein Erbarmen kannten. Hesmat beobachtete die Menschen mit den Kappen und den Netzen vor den Gesichtern, draußen vor den Gitterstäben. Draußen auf der Straße. Draußen in der Freiheit, draußen in dem Land, in das sie wollten. Hesmat hatte noch nie Kappen wie diese gesehen, Netze vor den Augen kannte er nur von den Frauen, die die Burka trugen. Netze, die die Frauen gefangen hielten wie diese Gitterstäbe sie. Die Netze auf den Kappen hier waren dagegen gute Netze.
»Ich wünschte, ich hätte eine Burka«, sagte Hesmat laut, und Fahid hob verdutzt seinen zerstochenen Kopf.
Er wollte sich darunter verstecken. Verstecken vor den Fragen
- und vor den Stechmücken. Er konnte seinen Kopf, seine Hände und Füße nicht ständig schützen. Wenn der Schlaf siegte, hockten sie zu Dutzenden auf seinem Körper und saugten sein Blut. Das Jucken, das Blut, die aufgekratzten Arme, Beine, das Gesicht.
»Wir sind keine Menschen mehr«, sagt Fahid. Er konnte sich nicht mehr erinnern, was Glück war.
Dann stiegen sie wieder in einen Zug, der sie in ein anderes Gefängnis brachte, bevor es zurück nach Afghanistan gehen sollte.
»1000 Dollar? Du bist verrückt«, sagte Fahid.
Die Menschen sahen von ihren Taschen auf, nur kurz hob sich ihr Blick, traf die Uniform, senkte sich.
»Woher sollen wir 1000 Dollar nehmen? Wir haben schon längst nichts mehr!«
Hesmat überlegte. Wenn er seinen Gürtel aufschneiden würde, wären sie frei. Doch sie würden sich nicht mit 1000 Dollar zufriedengeben. Sie würden alles nehmen und sie aus dem Zug werfen. Ohne Geld würden sie verhungern. Irgendwo in der Steppe verdursten. Er wollte sich nicht den eigenen Tod erkaufen. Er legte die Hand wieder in den Schoß.
Der Polizist zuckte mit den Schultern.
Als Hesmat das Fenster öffnen wollte, krachte der Gewehrkolben auf seinen Arm. »Hinsetzen!«
Schließlich schlief der Soldat ein.
»Wir müssen hier raus«, flüsterte Fahid.
Sie kamen nicht weit. Der Schaffner hielt sie fest. Zwei Hände wie Schraubstöcke gegen zwei Arme wie Stechmückenbeine. »Wenn ihr abhaut, sitz ich im Gefängnis«, sagte er. »Vergesst es, ihr habt keine Chance.«
Erst als die Nacht hereinbrach und die Blicke zu Träumen
wurden, als der Soldat wieder schlief, der Schaffner seit Stunden nicht zu sehen gewesen war, versuchten sie es noch einmal. Der Zug fuhr schnell.
»Das Scheißding kriecht die ganze Zeit, nur jetzt hat er es eilig«, fluchte Fahid, doch das Fenster klemmte, und die Schlafenden öffneten die Augen, wurden wach.
Der Strick um die Hände schmerzte nicht mehr, denn seine Hände waren längst taub. Er sah dem Blut zu, das über seinen Arm in Richtung der Stricke lief, wie sich der Strick mit dem Blut vollsaugte. Fahids Lippe war aufgeschlagen, Blut rann aus seinem Ohr, ein Auge war zugeschwollen.
Niemand hatte etwas gesagt. Sie hatten alle nur zugesehen, wie die beiden Jungen verprügelt worden waren. Wie die Polizisten und der Schaffner sie vom halb geöffneten Fenster weggerissen hatten und ihre ganze Wut, die Wut auf ihre Arbeit, ihr Land, ihre Hoffnungslosigkeit und Armut in die beiden jungen Körper prügelten. Der Soldat, der auf Geld gehofft hatte, der Schaffner, der auf Geld gehofft hatte. Der Soldat und der Schaffner, die nur Arbeit und Ärger mit den beiden Jungen hatten.
Termez.
Sollten sie lachen oder weinen? Wollte er sterben oder schreien?
»Wir haben schon wieder Glück gehabt«, sagte sein Freund wie zum Trotz.
Der Polizist, der sie ins Gefängnis bringen sollte, ließ mit sich handeln. Bachtabat feilschte mit ihm wie um zwei Schafe. Sie kosteten 400 Dollar, die er von ihnen zurückhaben wollte.
Bachtabat sagte nicht, woher er es gewusst hatte. Er sagte nicht, warum er ihnen half. Er bezahlte für beide und setzte
sie in sein Auto. Er hatte Angst vor Hanif. Hätte Hanif seinen Neffen und dessen Freund so gesehen, hätte der Schlepper das nicht überlebt. Bachtabat brachte sie wieder zu einem Freund und seiner Frau. Eine gute Frau, die sich um die Wunden der Jungen kümmerte, während sie selbst Wunden von ihrem Mann im Gesicht trug. Ihr Mann, der nach billigem Fusel roch und fraß wie ein Schwein. Ein Schwein, das sich im Nebenzimmer auf die dünne Frau legte und grunzte. Eine Frau, die weinte und danach nach Fusel roch, während sie die Wunden der Jungen frisch
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