Hetzer & Kruse 03 - Schattengift
es ist völlig abwegig“, erwiderte Wiebking bestimmt. „Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, würde ich jetzt gerne mit der Sprechstunde weitermachen.“
„Wir dürfen uns doch wieder an Sie wenden, Herr Dr. Wiebking, wenn noch neue Fakten auftauchen?“
„Selbstverständlich, am besten natürlich nicht unbedingt, wenn ich Patienten habe, aber manchmal lässt sich das wohl nicht vermeiden.“
„So ist es!“, sagte Wolf Hetzer und stand auf. Peter folgte ihm und musste sich fast bücken, als er durch den Türrahmen ging. Seine Haare streiften bereits das Metall.
Hausbesuch
Als Dr. Wiebking endlich seine Praxis zuschließen konnte, atmete er auf. Das Gespräch mit den Kommissaren hatte ihn den ganzen Nachmittag beschäftigt. Er beschloss, bei Anke einen Hausbesuch zu machen. Eigentlich hatte er erst am Freitag wieder nach ihr sehen wollen, aber diese unselige Geschichte mit dem Marcumar ging ihm nicht aus dem Kopf.
Als es klingelte, überlegte Anke, ob sie es sich überhaupt antun sollte, zur Tür zu gehen. Jedes Aufstehen und wieder Hinlegen war eine Tortur. Sie erwartete niemanden.
Ihr Vater, der inzwischen nach Hause gefahren war, hatte einen Schlüssel. Es gab also keinen Grund, sich aufzuraffen. Sie blieb liegen.
Wenig später klopfte es an ihrer Wohnungstür. Dr. Wiebking hatte beim Nachbarn geklingelt. Er hatte gemeint, das Flimmern des Fernsehers bei Anke gesehen zu haben und war überzeugt, dass sie da sein müsse.
Es klopfte lauter.
„Moment!“, rief sie und nahm im Zeitlupentempo eine halbwegs aufrechte Haltung an. Die Halskrawatte stützte ihre Wirbelsäule zwar, aber das Gewicht des Kopfes war so unangenehm, als ob ihr jemand zusätzlich zwei Zentner aufgeladen hatte. Sofort schoss der Schmerz in den rechten Mittelfinger. In beiden Armen kribbelte es. Schwerfällig schleppte sie sich zur Haustür und fragte:
„Wer ist denn da?“
„Hallo Anke, ich bin’s, Heiner. Ich wollte mal nach dir sehen.“
Heiß und kalt durchzog es sie. Sie war seit heute Morgen nicht frisch gewaschen und konnte jetzt kein Deo mehr benutzen. Ihre Haare hatten sich aus dem Zopf gelöst. Sie war ungeschminkt.
„Warte, Heiner, ich hole den Schlüssel.“ Das sagte sie, um Zeit zu gewinnen. Er steckte längst in der Tür. Im Flurspiegel machte sie sich so gut sie konnte zurecht, flocht den Zopf neu, kniff sich in die Wangen. Dann zog sie am Schlüssel, steckte ihn wieder ins Schloss und drehte ihn herum.
Als die Tür aufging, war Heiner erschüttert, wie schlecht sie aussah. Er versuchte den Eindruck zu überspielen und sagte: „Anke, also du machst ja Sachen. Wie geht es dir?“
„Schlecht!“, antwortete sie. „Ich muss unters Messer, wenn ich keine bleibenden Schäden haben will.
Und du weißt, wie ungern ich zu Hause bin. Ich würde hundert Mal lieber in der Praxis sein, von mir aus auch am Wochenende. Bloß kein untätiges Rumliegen. Da drehe ich durch.“
„Hast du die Bilder vom MRT da und die vom Röntgen?“, fragte er mit trauriger Stimme.
„Sie liegen auf dem Esstisch. Tu dir keinen Zwang an.
Die Fotos vom Wrack liegen in dem braunen Umschlag.
Du entschuldigst, wenn ich mich wieder hinlege?“
„Sicher, soll ich dir helfen?“
„Nein. Das schaffe ich noch.“
Heiner nahm den großen Umschlag vom Tisch. Er enthielt einige schwarz-weiße Röntgenbilder und eine DVD mit den MRT-Aufnahmen.
„Ich hole mal eben meinen Laptop aus dem Wagen“, sagte er. „Die Tür lehne ich an. Bis gleich.“ Wenige Minuten später war er wieder da. Sein Handy klingelte.
„Wiebking.“
„Hier ebenfalls! Sag mal, wolltest du nicht heute pünktlich zum Essen zu Hause sein?“
„Mist!“, entfuhr es Heiner, er sah auf die Uhr. „Gib mir noch eine halbe Stunde. Ich bin gleich da.“
„Dann musst du dir das Essen warm machen. Wo bist du denn?“
„Bei Anke auf Hausbesuch. Ich gucke mir gerade die Bilder vom MRT an.“
„Aha, das konntest du nach dem Essen nicht?“, fragte sie ironisch.
„Doch, entschuldige bitte, ich erkläre dir das spä ter.“
„Nicht nötig!“, sagte sie. „Du wirst deine Gründe haben.“
„Ja“, gab er zerknirscht zurück. „Bis später!“
„Na, Stress zu Hause?“, fragte Anke.
„Wie man’s nimmt. Ich bin zu spät dran, wegen des Essens.“
„Dafür sollte deine Frau aber doch Verständnis haben.“
„Hat sie ja auch.“
„Das war ein Aber-Satz.“
„Sie hatte mir extra gesagt, dass ich pünktlich sein soll, aber ich wollte eben noch schnell
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