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Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Titel: Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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eine Treppe hinabpurzelt? Wie auch immer:
    Guten Morgen, es ist 4.32,
und da ist wieder die Zugsirene, die durch die Nacht heult. Meister des Pathos sind sie, diese professionellen Zugsirenenstimmer. Sie wissen genau, was uns mitten ins Herz trifft.
    Dreiunddreißig solcher mal kruden, mal romantischen Morgenmeditationen im Tagebuchstil, und die Streichholzschachtel ist geleert. Und ein neues Genre, wie es bei dem originellsten Autor der amerikanischen Gegenwartsliteratur üblich ist, sowohl erfunden als auch sogleich abgefackelt. Beziehungsweise geköpft.
    Was nun aber Dürrenmatt an Max Frisch störte, war der Ur-Anspruch der Gattung Tagebuch, den Frischs Neudeutung nicht erfüllte. Das war nicht Wahrheit und gelebtes Leben, was sich hier niederschlug; es war schon im Entstehen literarisiertes, gefärbtes, frisiertes, gestaltetes Material. Zwei Bände solcher frisierter Tagebücher erschienen zu Frischs Lebzeiten und mehrten seinen Ruhm.
    21. Juli 1969
    Landung auf dem Mond (Armstrong und Aldrin). Nachricht von einem Hund, der von Calabrien, wo er verloren gegangen ist, in neun Wochen nach Turin läuft, wo er seine Herrschaft glücklich wiederfindet. Jemand vom städtischen Jugendamt berichtet: ein 15jähriges Mädchen, Waise, verläßt dieOrtschaft Cognac (Frankreich) aus Verwirrung, weil sie vom Arbeitgeber vergewaltigt worden ist, und geht zu Fuß nach Basel, wo sie noch eine Tante hat; der Mann dieser Tante vergewaltigt sie. Eine unbekannte Dame, die keine Ruhe läßt, bittet um Rat: ihr Bruder soll demnächst verurteilt werden, weil er einen Juwelier-Laden geplündert hat, vielleicht auch Rauschgift geschmuggelt, und ich sei doch gegen Ungerechtigkeit; ihr Bruder im Grunde auch Künstler, werde fünf Jahre im Gefängnis nicht ertragen. Nina, unsere Katze, hat wieder ein Junges geworfen; sie hat es gefressen.
    An dem Satz «Nina, unsere Katze» merkt man es: Max Frisch weiß ganz gut, wie seine Katze heißt, das muß er sich nicht erklären, die Information dient einem späteren Leser, wie auch der Hinweis darauf, daß er mit Cognac den Ort in Frankreich meint. Dürrenmatt hat recht: So schreibt man nicht für sich. Es ist dennoch bezwingend und erinnert an Thomas Mann, wie Frisch bei der Mondlandung beginnt, um beim Katzenfrevel zu enden. So sind Tagebücher, und deshalb lieben wir sie.
    Frischs zwei Jahrzehnte später aufgenommenes Tagebuch, das als verschollen galt, wurde erst 2009 entdeckt – 184 unpaginierte Seiten unter dem Titel
TAGEBUCH 3.
Ein Streit entbrannte unter den Häuptern der SchweizerIntelligentsia, alte Freundschaften drohten zu zerbrechen über der Frage: Sollte man das Fragment publizieren oder nicht? Es war diesmal wohl tatsächlich nicht zur Veröffentlichung gedacht, jedenfalls nicht in dieser unredigierten Form. Diesmal wäre Frischs Exhibitionismus nicht ganz freiwillig. Was tun? Wie immer setzte sich die Partei der Bejaher gegen die der Skeptiker durch. Wenn einmal etwas da ist, will man auch etwas damit machen – so ist der Mensch, seit er im Holozän erschien.
    Das Presseecho fiel überwiegend freundlich aus. Man fand einzelne Szenen des nach wie vor scharf beobachtenden Autors gelungen; man wunderte sich über – oder verstand nur zu gut – Frischs Erwartung eines womöglich zufällig ausgelösten Atomkriegs. Frisch lebte damals mit Alice Locke-Carey zusammen, dem Vorbild der weiblichen Hauptfigur aus
Montauk.
Sein Tagebuch zeigt eine gewisse Amerikaskepsis. Es ärgerte ihn, daß Alice mit europäischer Literatur auf Kriegsfuß stand und Tolstoi nur aus einem Film kannte. Und er war kein Freund des neuen Präsidenten Ronald Reagan. Als zum ersten Mal ein bedrohlicher Virus namens HIV in der Presse auftauchte, schrieb er: Thanatos und Eros – in Amerika heiße das
casual sex.
    Vor allem aber beschäftigten ihn das Alter und der Tod. Vielleicht waren diese letzten Notate, die letzten Blätter im zunehmend verschlissenen Brotsack, seine ehrlichsten.
    Wenn einmal etwas da ist, will man auch etwas damit machen – das stimmt aber nur zur Hälfte. Manchmal liegt auch etwas in der Schublade, mit dem jemand nicht herausrücken will. Manchmal will jemand so wenig damit herausrücken, daß er lieber eines der dreiunddreißig Streichhölzer zückt, die eine
Box of Matches
enthält.
    Es war der Fall beim Gatten der amerikanischen Autorin Sylvia Plath, die nach ihrem frühen Selbstmord 1963 im Lauf der Jahrzehnte zu einer ähnlichen Kultfigur wurde wie die von ihr verehrte Virginia

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