Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf
Woolf. Die 1932 geborene Lyrikerin hatte ein Tagebuch geführt, das ihre untereinander zerstrittenen Erben in sorgsam zensierter Form nach und nach veröffentlichten. Die letzten drei Jahre ihres Lebens kommen darin nur fragmentarisch vor. Ihr Ehemann Ted Hughes hatte im Vorwort der ersten Ausgabe erklärt, den letzten Band von Sylvias Tagebüchern vernichtet zu haben. Er hatte verhindern wollen, daß er den Kindern unter die Augen geriet. Daß die Sorge vielleicht nicht unberechtigt war, bewies mit langer Verspätung der Freitod des gemeinsamen Sohnes Nicolas im Jahr 2009, eine Tragödie, die Ted Hughes, 1998 gestorben, zum Glück nicht mehr mitbekam.
Sehr wohl mitbekommen hatte er, daß er bei der stetig anwachsenden Plath-Gemeinde so verhaßt war wie John Middleton Murry bei der Gemeinde seiner ebenfalls früh verstorbenen und erst postum berühmt gewordenenFrau Katherine Mansfield. Beiden Gatten wurde eine zumindest moralische Mitschuld am Tod ihrer jeweiligen Frau unterstellt – Ted Hughes hatte sich vier Monate bevor Sylvia Plath den Gashahn aufdrehte, von ihr getrennt. Beide, Hughes und Murry, hatten Affairen gehabt. Beide verwalteten als Witwer das Werk, saßen auf ihm wie Fafner auf dem Hort und sorgten dafür, daß der Schatz stetig wuchs. John Murry verbrachte Jahrzehnte damit, aus dem Nachlaß Briefe oder Tagebücher Katherine Mansfields herauszugeben, wobei er es mit der editorischen Ethik nicht übertrieben genau hielt. Es dauerte ein gutes halbes Jahrhundert, bis eine Ausgabe der Mansfield-Tagebücher erschien, in der nicht alles Anstößige getilgt war.
Bei Sylvia Plath war es im Jahr 2000 soweit. Die Tagebücher zeigen sie, vor allem im Kontrast zu den Briefen an ihre Mutter, als rasend ehrgeizige, libidinös anspruchsvolle und zwischen Rollenerwartungen zerquetschte Künstlerin, die nie über den frühen Tod des Vaters hinwegkam, den sie in jedem Geliebten suchte, und die immer wieder in Depressionen verfiel. Ted Hughes hatte von diesen Tagebüchern erklärt, sie alleine zeigten Sylvias wahres inneres Ich. Das
real self
sei ausschließlich hier; die Gedichte, die sie berühmt gemacht hatten, seien umzingelt oder durchsetzt von Pseudo-Ichs. Die Gedichte waren bloße
by-products
dieses Tagebuchs.
Masken sind heutzutage an der Tagesordnung, und das mindeste, was ich tun kann, ist die Illusion zu pflegen, daß ich fröhlich, ausgeglichen und nicht ängstlich bin.
So schreibt es Sylvia Plath selbst im Tagebuch, fast als habe sie zu viel Max Frisch gelesen. Masken, Rollen, das wahre Ich eine Illusion!
Aber waren die Gedichte wirklich nur Abfallprodukte der
Journals?
Bei ihrem Mann war es eher umgekehrt. Ted Hughes, von Schicksalsschlägen immer wieder gepeitscht, gewann moralisch allmählich an Boden zurück. Kurz vor seinem Tod veröffentlichte er, inzwischen
poet laureate
der britischen Königin, den Gedichtband
Birthday Letters.
Es war die Summe seines Lebens und wurde zur literarischen Sensation. In diesen Gedichten konnte man finden, was sonst nur im Tagebuch stand: die Wahrheit über seine Ehe mit Sylvia, kondensiert in Poesie.
Die Gemeinde hatte ihn zu Unrecht verdammt. Sein Leben an der Seite Sylvias war alles andere als leicht. Aus ihrem Tagebuch wissen wir, daß es schon turbulent begann.
Dann geschah das Schlimmste, dieser große, dunkle, wunderbare Kerl, der einzige, der groß genug war für mich, der sich auf die Frauen stürzte und nachdessen Namen ich mich erkundigt hatte, gleich als ich ins Zimmer trat, ohne daß mir jemand eine Antwort gegeben hätte, kam herüber und schaute mir tief in die Augen, und es war Ted Hughes. Ich fing wieder an zu brüllen, etwas über seine Gedichte, und zitierte «most dear unscratchable diamond», und er schrie zurück, gewaltig, mit einer Stimme wie ein Pole «Gefällt’s dir?», und dann fragte er mich, ob ich Brandy wolle, und ich schrie ja, und dann zogen wir uns ins andere Zimmer zurück, […] und Boing war die Tür zu, und er goß Brandy in ein Glas, und ich goß ihn dorthin, wo nach meiner letzten Erinnerung einmal mein Mund war.
Wir brüllten, als wären wir in einem Sturm, über die Rezension, er sagte, Dan wüßte, wie schön ich sei, über einen Krüppel hätte er das nicht geschrieben, und ich protestierte schreiend, und dabei fielen überraschend oft die Worte «mit dem Verleger schlafen». Und dann stellte sich heraus, daß mir das alles klar war, und ich stampfte und schrie ja, und er mußte im anderen Zimmer noch etwas erledigen,
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