Heute bin ich blond
Leukämie starb. Mit sechzehn. Jetzt, da wir zusammen trinken, ist sein Kummer mein Kummer, und mein Kummer ist sein Kummer.
Ich schmiege mich eng an Rob, der sich schon vor einer Stunde schlafen gelegt hat. Ich habe Angst, aber ich sage kein Wort. Was auch? Ein »Es wird alles wieder gut« hilft mir nicht. Werde ich an dieser Scheißkrankheit sterben?
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Donnerstag, 21. Juli 2005
Aber jetzt, vor den Bestrahlungen, erst mal weg! Juhu! Zwei Wochen Sonne, gut essen, französischer Wein, braune Beine, Sandalen, und das alles ohne auch nur einen einzigen Weißkittel! Zwei Wochen weg mit Annabel!
Mit fünf habe ich wegen eines Kuscheltiers in einem Körbchen einmal das ganze Kaufhaus Bijenkorf zusammengebrüllt. Minoe stand auf dem Anhänger. Minoe ist eine Katze, die seit siebzehn Jahren das Bett mit mir teilt – was ich von meinen Freunden nicht sagen kann. Minoe hat schon mehrere Reisen hinter sich, die weiteste in den tibetischen Himalaya. Da fand sie sich dann plötzlich zwischen Pekingenten und Yaks, Chinesen und Tibetern wieder. Anfangs wusste sie nicht so recht, was sie von all den grünen Flächen, den leuchtend türkisfarbenen Seen, dem knallblauen Himmel und den weißen Gipfeln halten sollte. Und kalt war es für eine Katze, die noch nie über die zivilisierte Welt des Westens hinausgelangt war. Inzwischen aber hat Minoe Routine darin, ihr Körbchen gegen ein Zelt im Iran, eine Luftmatratze in Nepal, ein Hausboot in Kaschmir oder ein Schaffell bei den Nomaden einzutauschen. Heute wechselt sie mühelos zwischen westlicher Selbstverständlichkeit und östlichem Abenteuer hin und her.
Aber ehe Minoe wieder in die wunderbare weite Welt hinausziehen darf, muss sie erst noch in den weißen Betten des OLVG schlafen. Noch fünf Nächte schnurrt sie leise in die Ohren der Schwestern. Noch fünf Nächte, dann geht es los.
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Samstag, 23. Juli 2005
Ich bin entlassen. Ganz altmodisch aus dem Krankenhaus entlassen. Das heißersehnte Papier liegt neben mir auf dem Tisch. Vom Bett aus betrachte ich es. Meine letzte Nacht ist geschlafen, mein letzter Morgen angebrochen.
Wie viele Nächte habe ich hier verbracht!
Fünfunddreißig.
Der letzte Infusionsbeutel baumelt albern an meinem langen Freund.
Die ersten sechs Monate – siebenundzwanzig Wochen, um genau zu sein – sind um. Mit gemischten Gefühlen betrachte ich meinen langen Freund. Er piepst nicht.
Nie wieder auf der C6 logieren und klinisch stinken. Von jetzt an nur noch Erhaltungschemo in der Ambulanz. Nie wieder? Ich wage es kaum auszusprechen.
Vielleicht geht meine Krankheit ja nie mehr ganz weg und ich sterbe hier langsam.
Leb wohl, C6, jetzt kommt Rotterdam. Da läuft bestimmt auch irgendwo ein Bas herum, als Mitarbeiter in der Strahlentherapie. Vielleicht nicht mit kahlrasiertem Kopf und Gliederkette, dafür aber mit langen Haaren und einem Stein um den Hals. Ob Bas mich auch vermissen wird? Wie all die anderen, die vor mir gegangen sind?
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Montag, 25. Juli 2005
Vor meiner Nase Muscheln, vier Krabbenbeine und Pommes mit Mayo. Neben mir meine Eltern. Ringsum der Blick vom Hotel New York: offenes Wasser, ein paar Boote und gegenüber der alte Hafen. Für mich ein langer Tag zwischen den Krankenhausmauern von Rotterdam. Aber jetzt erst mal essen. Denn in drei Wochen wird nichts mehr so sein, wie es war.
Die Strahlentherapeuten stehen schon für mich bereit mit ihren Geodreiecken, Zirkeln und anderen Messinstrumenten. Doktor N. ist ein Geschenk des Himmels unter all den Ärzten, mit denen ich bisher zu tun hatte. Er zeigt sich vom ersten Augenblick an engagiert, er kennt keine Hast und Wichtigtuerei, er schaut so lieb, so zerstreut und intelligent drein wie Professor Bienlein und ist sich für ein aufmunterndes Schulterklopfen nicht zu schade. Und er ist Doktor N. Ich speichere seine Nummer sofort in meinem Handy.
Klein und ängstlich nehme ich auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz. Nach dem Gespräch mit Doktor O. im AMC bin ich ziemlich entmutigt.
»Ich hab mir deine Aufnahmen angeschaut, und ich muss dir sagen, die Sache wird schwierig …«
»…«
»Die Tumoren liegen alle in einem schlecht zu bestrahlenden Gebiet, in dem wir nicht die eigentlich wünschenswerte Strahlenmenge verabreichen können. Und man kommt schwer an sie ran.«
»…«
»Ich will dich nicht entmutigen. Ich habe schon ›mehrere Kinder‹« – Kinderkrebs – »kuriert, aber hier wage ich noch nichts zu sagen.«
»…«
Meine
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