Heute bin ich blond
Handflächen werden feucht und fangen an zu kribbeln.
»Nächste Woche machen wir eine CT «, fährt Doktor N. fort, »dann kann ich gleich mit den Berechnungen anfangen. Danach machen wir eine Schablone des Thorax« – des Brustkorbs – »und damit wird eine Schale angefertigt. Die trägst du während der Bestrahlungen.«
»Und wie lange muss ich bestrahlt werden?«
»Das kann ich erst nach meinen Berechnungen sagen.« Er macht ein Gesicht, als hätte er soeben den ganzen Sternenhimmel berechnet.
Das beruhigt mich ein wenig, beunruhigt mich aber auch. »Warum ist das denn so schwierig?«
»Wir müssen deine Lunge so weit wie möglich schonen. Das bedeutet, dass wir dich aus mehreren Richtungen bestrahlen müssen. Ich weiß nicht, ob wir überall gleich gut rankommen.«
»Bestimmt.«
Ein freundliches Lächeln breitet sich über Doktor N.s Gesicht. Seine Stimme ist ganz sanft und ruhig, seine Haltung bescheiden und menschlich. Es gibt sie also doch: Ärzte mit Taktgefühl. »Das ist die richtige Einstellung. Am achten August fangen wir an.«
Meine rechte Lunge geht kaputt, meine Leber wird stark geschädigt, und auch meine Speiseröhre kriegt was ab. Tja, bestrahlen heißt eben nichts anderes als ganz mittelalterlich wegbrennen, wie mein Medizinerfreund es erklärt. Bei jeder Bestrahlung kriegen meine Zellen eins aufs Dach, dann rappeln sie sich wieder auf. Man will erreichen, dass die Krebszellen nach dem soundsovielten Mal schlappmachen und die gesunden Zellen das Brennen so gut wie möglich überstehen. Mein Körper regelt die Sache mal wieder selbst, wie es scheint. Die andere Lunge übernimmt das Ruder, die Leber bildet neues Gewebe, das sich dann zusammen mit dem gesunden Stück Leber an die Arbeit macht.
Ich warte, bis meine Eltern hinausgegangen sind, und bedanke mich dann bei Doktor N., dem Strahlentherapeuten, für sein Schulterklopfen. Ich überlasse mich ganz seinen Berechnungen. Am achten August beginnt das Fest. Die Müdigkeit, die Pneumonitis, die rauhe Haut, das Fieber, der Husten, die Schluckbeschwerden, die Schmerzmittel. Ich mag Schmerzmittel nicht. Ich mag Nebenwirkungen und Tabletten nicht. Als ich den Raum verlasse, komme ich mir vor wie ein kleines Mädchen, weit weg von der Einundzwanzigjährigen von einst mit ihren großen Plänen.
Eine Stunde später liege ich auf dem Rücken. Zwei Männer sind eifrig mit einem Eimer, einem Sack Gips, Spachteln und Pinseln an meinem Oberköper zugange, um einen Abdruck davon zu machen. »Der Gips ist erst mal kalt«, warnen sie mich. Ich muss ganz still liegen, denn er trocknet schnell. Im Stillliegen habe ich inzwischen Übung. In der radiologischen Abteilung des OLVG tue ich nichts anderes.
Mam steht neben mir. »Sieht schön aus«, sagt sie.
Meine Brust ist eingegipst, darüber mein kahler Kopf. Es wird immer
Krieg-der-Sterne
-mäßiger.
»Kann ich ein Foto machen?«, fragt sie.
Sie kann. Ich bin selbst neugierig auf das Bild. Sie greift zu ihrem Handy. Klick.
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Dienstag, 26. Juli 2005
Ich bin in Nizza und stolziere am Wasser entlang. Ich trinke
thé de verveine
und
grand crème
durcheinander und sehe dabei die abgegriffene Getränkekarte nach weiteren Köstlichkeiten durch. Denn in Nizza ist nichts zu viel. Muscheln aller Arten und Größen: Wir bestellen alles.
Ich öffne meine Tasche, hole meine Sonnenbrille heraus und verschmelze mit meiner Umgebung. Was für ein Rummel! Mit einem fünf auf drei Meter großen Sonnensegel und einer eisernen Reserve an Faktor dreißig bahne ich mir am Pamplonne-Strand einen Weg zwischen den gebräunten Leibern durch. Von verschrumpelten alten Sonnenhäuten bleibt man hier verschont, schließlich zahlt man für ein erstklassiges Stückchen Sonne.
Pam weht im Wind. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dieses befreiende Cabriogefühl diesen Sommer noch genießen kann. Neben mir natürlich ein finanziell erfolgreicher Mann mit weniger Erfolg in der Liebe. Oder einer aus der Kategorie Penopause und einsamer Junggeselle, die in Südfrankreich am liebsten gesehen werden.
Das Wasser ist knallblau, der Himmel auch. Ich habe schon ein paar Tage keinen Horizont mehr gesehen.
Die Sonne brennt herab. Ich muss aufpassen, muss wieder in den Schatten, bevor Schwester Hanneke mich entdeckt. Die läuft hier irgendwo herum.
Unter einem riesigen Hut, einer Perücke und hinter einer Onassis-Sonnenbrille versteckt, schmiere ich mich noch mal mit Faktor-viel-zu-viel ein. Diese Abendsonne muss man genießen.
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