Heute morgen und fuer immer - Roman
erkennen, vor allem aber war Valentin hier, vor ihm zu spielen war noch schlimmer als sonst. Wie üblich machte ich meine Atemübungen, wartete, bis alle im Kaminzimmer sich einen Platz gesucht hatten und mit Getränken versorgt waren, und ging dann mit raschem Schritt zum geöffneten Flügel. Sofort wurde es ruhig, und alle Augen waren auf mich gerichtet. Ich legte beide Hände auf die kühlen Tasten, schloss die Augen, um mich zu konzentrieren, und begann zu spielen. Fröhlich, leicht war die Musik, die ich gewählt hatte, einige klassische Stücke, aber auch die Musik von Yann Tiersen, der durch die Filmmusik von »Die fabelhafte Welt der Amélie« mit seinem Stück »L'après midi« bekannt wurde. Es waren Melodien zum Träumen, und sie passten perfekt zum verwunschenen Waldhaus und zu seinem romantischen Park, der durch die Lampions im Park erhellt wurde. Ein magischer Abend, alles lief wie geplant. Während ich spielte, schweifte mein Blick zu Valentin, der an der Wand neben dem Kamin lehnte, der Musik lauschte, die Augen dabei halb geschlossen. So innig und intensiv, wie er den Klängen zuhörte, konnte ich kaum glauben, dass er fast nie Musik hörte. Nur das eine Mal, als ich ihn nachts überrascht hatte und es zu dem Kuss gekommen war, da hatte ich ihn ähnlich erlebt, versunken und in sich gekehrt. Zwar hörte er manchmal im Auto Musik, das aber selten, meistens lief der Infokanal. Auch war er jedem meiner Konzerte ferngeblieben und schien nicht erpicht darauf gewesen, mich spielen zu hören. Sinnlich war das einzige Wort, das mir zu ihm einfiel. Nicht nur auf mich wirkte er mit seiner herben Ausstrahlung anziehend. Verschiedene Frauen schielten immer wieder zu dem großen, gut gebauten dunkelhaarigen Valentin, der im Smoking mit den Glutaugen verloren vor sich hin träumte und gleichzeitig distanziert wirkte. Wäre er ein Gemälde, der Auktionspreis wäre ins Unermessliche gestiegen, bei all den Mitbieterinnen. Kraftvoll setzte ich den letzten Akkord und ließ den letzten Ton lange verhallen. Langsam nahm ich die Finger von den Tasten, die ein leichtes mechanisches Holzgeräusch von sich gaben, typisch für das heruntergedrückte Gebälk, das sich wieder in die Reihe einordnete. Nach einigen Sekunden Stille begannen die Gäste zu klatschen, erst vereinzelt und fast zögerlich, so als ob sie immer noch der Musik und ihren Gedanken nachhingen und erst durch den lauter werdenden Applaus zurück in die Wirklichkeit, in dieses Zimmer geholt wurden. Glücklich über die heitere Stimmung mischte ich mich unter die Menschen und holte mir endlich unseren berühmten Feentrank, die Waldmeisterbowle, die Luisa bereits gestern Morgen angesetzt hatte. Das Geheimnis war die Rezeptur, die sich von gewöhnlichen Waldmeisterbowlen unterschied. Wir gaben seit Generationen Waldmeister, Bourbonvanille, frische Zitronenmelisse, frische Minze, Champagner, braunen Zucker und Weißwein dazu und ließen die Bowle einen Tag lang ziehen. Serviert wurde die gekühlte Mischung in alten wertvollen Glasschalen mit gefrorenen Zitronenscheiben und Waldmeisterblüten garniert.
»Darf ich Ihnen zur Neueröffnung gratulieren? Das Waldhaus war schon immer etwas Besonderes, aber jetzt ist es ein richtiges Schmuckstück geworden, und das neue Konzept macht es noch unverwechselbarer. Dürfen wir noch ein Foto mit Ihnen und Ihrem Team machen?«
Der nette Journalist von der »Süddeutschen Zeitung«, den ich bereits durch einige Interviews von meinen Konzerten kannte, schien begeistert. Schnell trommelte ich Omi, Helene, Hubertus, Luisa und Valentin zusammen, die das restliche Personal mitbrachten. Kaum stellten wir uns auf, kamen die anderen Fotografen dazu und lichteten uns ab. Um Mitternacht reichten wir noch eine Bratwurst mit frischen Semmeln, um dann die Gäste mit kleinen Goodie Bags nach Hause zu schicken. In den Tüten befanden sich selbstgebackene Kekse in Form des Waldhauses, einige unserer Spaprodukte, eine kleine Flasche des Dessertweines, eine Flasche Bier aus Valentins Brauerei sowie eine Broschüre mit Fotos des renovierten Waldhauses mit unseren kommenden Aktionen und Angeboten.
Danach wollte ich aber endlich von Valentin wissen, was heute los war! Gespannt machte ich mich auf die Suche nach ihm, als Omi mit hochroten Wangen und glänzenden Augen auf mich zukam und mich glücklich drückte, weil der Abend so gelungen war. Die letzten Gäste gingen, als ich plötzlich von Weitem ein Auto mit quietschenden Reifen vorfahren hörte.
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