Heute Nacht brauche ich Liebe
Unverständliches vor sich hin, während er sich neben Reese hinkniete. „Wie geht es dir, Kumpel?” erkundigte er sich.
„Besser jetzt”, entgegnete er mühsam. Nur langsam ließ er sich von Joan und Red aufsetzen und an die Wand lehnen. Sein Gesicht war aschfahl und vor Schmerz verzogen.
Red zog eine kleine, flache Flasche aus seiner Jacke und schraubte den Verschluss auf. „Hier trink, das wird den Schmerz betäuben. Das ist einer der Vorteile, wenn man in einer Bar festsitzt.”
„Darum lasse ich mich nicht zweimal bitten.” Reese nahm die Flasche und setzte sie mit zitternder Hand an die Lippen.
„Mehr können wir im Augenblick nicht tun”, sagte Red zu Joan. „Du solltest dir auch eine Flasche einstecken, für alle Fälle.” Sie nickte. „Wie geht es Joe?”
„Nicht gut. Vor allem sein Bein sieht ziemlich schlimm aus”, erklärte er ernst. „Gilly versucht, es zu schienen. Zum Glück ist das Feuer in der Küche inzwischen gelöscht.”
„Maudie ist unverletzt. Und Della hat wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung, aber sie ist bei Bewusstsein”, berichtete Joan.
Red wandte sich wieder an Reese und nahm ihm die Flasche ab. „Nicht so gierig, mein Freund, ich habe noch andere Patienten.” Er klopfte ihm behutsam auf die Schulter. „Nimm's nicht so schwer. Und wenn du etwas brauchst, ruf einfach nach uns. Wir müssen jetzt weiter.”
Er stand auf und reichte Joan, die hin und her gerissen zwischen Hilflosigkeit und Sorge Reese anstarrte, die Hand. „Darling, zum Zeitpunkt des Unglücks müssen fünfunddreißig Menschen in der Bar gewesen sein”, erinnerte er sie. „Wir haben zwei Erste-Hilfe-Koffer und fünf Mann, die auf den Beinen sind, wenn auch verletzt. Wir müssen uns beeilen, denn wenn die Temperatur hier drinnen noch weiter sinkt, müssen wir zu allem Übel auch noch mit Erfrierungen rechnen.”
Joan wusste, dass er recht hatte. Aber im Augenblick war sie vom Ausmaß des Unglücks zu sehr überwältigt. Sie dachte an Della und Joe, an Reese, der vielleicht innere Blutungen oder eine durchstochene Lunge hatte - und im ganzen Ort gab es keinen Arzt. Das nächste Krankenhaus war über einhundert Meilen entfernt. Wie sollten sie nur mit allem fertig werden?
„Hey”, riss Red sie mit scharfer Stimme aus ihren Gedanken und packte sie am Arm. „Ich habe sie hierher geschickt", stotterte sie: „Sogar Della, obwohl sie nicht gehen wollte.”
Sein Griff wurde fester. „Hör auf. Das Ganze war meine Idee”, widersprach er leise, aber bestimmt. „Also hör auf, dir. Vorwürfe zu machen. Wir brauchen jetzt deine Hilfe. Bist du dazu in der Lage? Wirst du das durchstehen?”
Joan holte tief Luft und riss sich zusammen. „Ja”, sagte sie. Und da er sie immer noch ziemlich besorgt anblickte, rang sie sich ein Lächeln ab.
„Tapferes Mädchen”, lobte er anerkennend und war schon verschwunden.
Joan setzte sich in Bewegung, verteilte Jacken und Decken, schleppte Verletzte an sichere Stellen, brach Bretter zu Schienen für gebrochene Arme und Beine, legte Verbände an und gab denen, die große Schmerzen hatten, kleine Portionen Brandy zu trinken. Dabei verging die Zeit wie im Flug. Trotz des verheerenden Ausmaßes des Unglücks kam sie irgendwann zu dem Schluss, dass sie noch Glück im Unglück gehabt hatten. Es hätte auch alles viel schlimmer sein können. Längst hatte sie es aufgegeben, die Verwundeten zu zählen, und machte sich auch keine Gedanken mehr über Kopfwunden und innere Verletzungen. Einmal zog sie einen zehn Zentimeter langen Holzsplitter aus dem Arm eines Mannes, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch hinterher trat sie zitternd zur Seite und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an. Aber wenigstens hatten sie keinen Todesfall zu beklagen, was sehr leicht hätte passieren können.
Irgendwann - Joan hatte das Gefühl, es seien Stunden inzwischen vergangen - hatten sie es schließlich geschafft. Alle waren notdürftig medizinisch versorgt, die schlimmsten Wunden verbunden und Knochenbrüche geschient. Was blieb, waren die Kälte und die Schmerzen.
Red kam auf Joan zu. „Wie kalt wird es deiner Meinung nach hier drin sein?” fragte er besorgt.
Sie hielt die Hände trichterförmig vor den Mund und wärmte sie mit ihrem Atem an. „Zehn Grad unter Null”, schätzte sie vorsichtig.
„Das könnte richtig sein”, stimmte Red zu. Er blickte zu dem Loch in der Decke, durch das jetzt überhaupt kein Tageslicht mehr eindrang, sondern nur noch eisiger Wind und
Weitere Kostenlose Bücher