Heute schon geträumt
Zweitschlüssel zu meiner Wohnung zurück und schlägt die Tür hinter sich zu.
Er ist wütend und durcheinander, woraus ich ihm keinen Vorwurf machen kann. Ich fühle mich schrecklich, habe Gewissensbisse. Aber ich kann auch meine Erleichterung nicht leugnen.
Mein Blick fällt auf die Hochglanzbroschüre unseres Traumhauses, die in ihrer ganzen Pracht auf dem Couchtisch liegt, und mir wird bewusst, dass dieses unangenehme Flattern in der Magengegend, das ich die ganze Zeit als Nervosität vor dem großen Schritt abgetan habe, verschwunden ist. In Luft aufgelöst. Ebenso wie das Traumleben, das ich mir immer gewünscht habe, denke ich beim Anblick der herrlichen Farbfotos.
Zumindest dachte ich, dass ich es mir erträume. Das Problem ist nur, dass es, als ich es direkt vor mir hatte, mit einem Mal gar nicht mehr so traumhaft war. Ich lehne mich auf dem Sofa zurück. In meinem Kopf herrscht das blanke Chaos.Wenn ich ganz ehrlich bin, fühle ich mich ein wenig orientierungslos. Als wäre ich die letzten zehn Jahre einen Marathon gelaufen und auf einmal hätte jemand die Ziellinie wegradiert. Ich meine, wenn ich dieses Leben nicht mehr will, was will ich dann?
Ziemlich schwere Kost für einen Samstagmorgen, was?
Ich kratze meine brennenden Ohrläppchen und gähne herzhaft, während mir bewusst wird, dass ich noch nicht einmal meinen Morgenkaffee getrunken habe. Puh, ich bin ziemlich erschossen. Als ich endlich ins Bett fiel, dämmerte bereits der Morgen, das heißt, ich habe nur ein paar wenige Stunden geschlafen. Ich kuschle mich tiefer in die Kissen.
Und erstarre.
Igitt, was ist das für ein widerlicher Gestank? Meine Nasenflügel beben. Igitt, irgendwie schal, nach altem Schweiß und kaltem Zigarettenrauch.
Genau. Alter Schweiß und schaler Zigarettenrauch.
Schlagartig wird mir bewusst, dass der üble Geruch meinen Haaren entströmt. Meinem sonst so samtweichen, glänzenden Haar, das nach Holunderblüten und Jojoba oder etwas vergleichbar Köstlichem duftet, während es nun nach einer Mischung aus vollem Aschenbecher und ungewaschener Achselhöhle stinkt.Widerlich! Ich springe auf.
Mag sein, dass ich nicht weiß, wie mein Leben in Zukunft aussehen soll, aber eines weiß ich sicher: Ich muss unter die Dusche.
Nachdem ich mein Haar ausgiebig shampooniert und mit einer Kurpackung verwöhnt habe, bleibe ich unter dem kräftigen Strahl aus dem Duschkopf stehen. Mit geschlossenen Augen lasse ich den Kopf in den Nacken sinken, während das heiße Wasser auf mich herunterprasselt. Meine Gedanken wandern zu Lottie, zu gestern Abend, als sie in voller Make-up-Montur ins Bett fiel. Gott, ich will gar nicht daran denken, wie sie heute Morgen aussieht. Erschaudernd drücke ich mir einen dicken Klecks mikrodermabrasives Peeling auf die Hand und rubble meine Wangen damit ein. Es gibt nichts Schlimmeres, als mit Make-up ins Bett zu gehen. Sie wird katastrophal aussehen.
Und sich grauenhaft fühlen, denke ich bei der Erinnerung daran, wie sie die Treppe hinaufgetaumelt ist, mit dem Nudelbecher in der einen und einer Tasse schwarzem Kaffee in der anderen Hand. Das arme Ding. Mag sein, dass ich nicht meinen allervergnüglichsten Vormittag erlebe, aber sie hat unter Garantie den Kater des Jahrhunderts.
Eingehüllt in ein dickes Badetuch, setze ich frischen Kaffee auf und wandere ziellos in der Wohnung umher. Rufe meine Mails ab. Zupfe mir die Augenbrauen. Nehme das verschrumpelte Bio-Gemüse aus dem untersten Kühlschrankfach und werfe es in den Müll. Schüttle die Kissen auf.
Der Tag erstreckt sich endlos vor mir. Bislang habe ich meine Wochenenden stets mit Miles verbracht, und diesmal sollte es nicht anders sein. Dieses Wochenende habe ich sogar bewusst freigehalten, damit wir möglichst viel gemeinsam unternehmen können, weil wir in den letzten Wochen beide so eingespannt waren. Die Bindung wieder stärken, heißt es in meinem Buch darüber, wie man eine erfolgreiche Partnerschaft führt. Tja, in diesem Fall hat es wohl nicht ganz funktioniert, was?
Nachdem sämtliche Kissen auf dem Sofa aufgeschüttelt und hübsch arrangiert sind, sehe ich mich in der Wohnung um. Jetzt weiß ich, was ich tun werde. Ich rufe Vanessa an. Ich greife nach dem Telefon. Obwohl … bestimmt ist sie mit den Kindern beschäftigt, was bedeutet, dass jeder dritte Satz des Gesprächs »Nein, Ruby, nein. Mami telefoniert gerade« lautet. Außerdem hat sie im Moment mit ihren eigenen Problemen genug um die Ohren und bestimmt keinen Nerv
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