Heute schon geträumt
nicht reden. Wir werden expandieren müssen, neues Personal einstellen, größere Büroräumlichkeiten … Genau das, wovon ich immer geträumt habe.
Wäre da nicht …
Oliver.
Meine Gedanken kehren zum Samstag zurück. Zu meinem Spaziergang mit ihm und Welly im Park. Wie ich gelacht habe, als er ein Stöckchen für Welly geworfen hat und es am Ende selber holen musste.Wie wir bei Tee und Keksen im Laden seines Großvaters gesessen haben.
Olivers Großvater.
Mir wird das Herz schwer. Ich bringe es einfach nicht über mich. Ich kann ihm seinen Laden, sein Lebenswerk, seine Existenz nicht wegnehmen. Seine Worte kommen mir wieder in den Sinn. »Hier habe ich meine verstorbene Frau, Betty, kennen gelernt. Sie kam rein, weil sie eine Porzellanteekanne kaufen wollte. Was sie auch getan hat … Der Handel mit Antiquitäten liegt mir im Blut, und sehen Sie mich an. Inzwischen bin ich fast selber schon eine.«
Andererseits hatte er bestimmt vor, sich in absehbarer Zeit ohnehin aus dem Geschäft zurückzuziehen. Ich meine, inzwischen muss er doch über 80 sein. Ich bin sicher, Oliver wird es verstehen. Auch wenn ich Zweifel habe, ob ich ihm jemals wieder in die Augen sehen kann, ebenso wenig wie seinem Großvater, denke ich niedergeschlagen.
»Schöner Tag, nicht?«
Eine Stimme reißt mich aus meinen Grübeleien, und als ich aufsehe, bemerke ich, dass eine alte Dame am anderen Ende der Bank sitzt. Sie hat ihre Beine mit den geschwollenen Knöcheln ausgestreckt und reckt ihr von Falten durchzogenes Gesicht der Sonne entgegen, wie eine graue Katze, die sich in der behaglichen Wärme aalt.
Falls sie schon vorhin hier gesessen hat, habe ich sie jedenfalls nicht bemerkt, andererseits wäre es mir wahrscheinlich nicht einmal aufgefallen, wenn Schneefall eingesetzt hätte.
»Wenn Sie meinen«, erwidere ich düster.
Sie sieht mich an. »Lassen Sie mich raten. Ein Mann.«
»Wie?«
»Dieser Seufzer - so abgrundtief, dass er mich fast mitgerissen hat.« Sie lächelt und hebt die Brauen.
Also wirklich.Wieso glaubt eigentlich jeder, Frauen müssten immer nur wegen Männern unglücklich sein? »Nein, überhaupt nicht«, erwidere ich leicht empört. »Ich habe ein Problem bei der Arbeit.«
»Verstehe.« Sie nickt, aber etwas an der Art, wie sie mich ansieht, sagt mir, dass sie mir kein Wort glaubt.
»Na ja, eigentlich ist es kein wirkliches Problem«, füge ich hinzu. »Der Kunde ist überglücklich mit allem, es ist nur -«
»Sie sind alles andere als glücklich.«
Ich sehe sie an. Sie sagt es mit einer Bestimmtheit, als wisse sie tatsächlich, wie ich mich fühle, was natürlich unmöglich ist. Sie ist eine alte Frau mit schneeweißem Haar in einem dicken Wintermantel, obwohl Sommer ist, und einem Stock. Mein Blick fällt auf ihre Hand um den Knauf, während sich die Sonne in ihrem hübschen Smaragdring in Blumenform, den sie über ihrem Trauring trägt, widerspiegelt. Sie muss an die 80 sein.Was kann sie schon über mein Leben wissen, darüber, wie ich mich fühle?
»Tja, so einfach ist es leider nicht«, versuche ich zu erklären. »Leider sind auch noch ein paar andere darin verwickelt - Oliver und sein Großvater. Und wegen mir verliert Olivers Großvater jetzt seinen Laden.« Es ist fast, als wäre nun, da ich erst einmal zu erzählen angefangen habe, ein Damm gebrochen. »Was dazu führen wird, dass Oliver mich bestimmt hasst, so wie er es vor zehn Jahren schon getan hat, als ich ihn nicht beachtet habe.« Einen kurzen Moment lang erinnere ich mich an den Abend, als ich ihn Lottie vorgestellt habe. Daran, dass sie ihn ignoriert hat, weil sie die ganze Zeit nichts anderes als Billy Romani im Kopf hatte. »Aber das ist nicht meine Schuld, denn damals hatte ich keine Augen für nette Jungs. Erst vor ein paar Tagen bin ich zu meiner Geburtstagsparty von vor zehn Jahren gegangen, und da habe ich ihn wiedergesehen, jetzt, mit über dreißig, als er noch in den Zwanzigern war, und jetzt habe ich eine zweite Chance bekommen.« Bei der Erinnerung an Oliver in seinem engen Batik-Shirt hinter der Bar bekomme ich Schmetterlinge im Bauch. »Und dann, als ich herausgefunden habe, dass er heute Barkeeper im Gastropub ist …« Plötzlich bemerke ich, dass ich mich völlig vergessen habe, und halte inne.
Die alte Dame am anderen Ende der Bank mustert mich mit belustigter Miene.
»Wie gesagt, es ist ziemlich kompliziert.« Ich zucke die Achseln.
Aber sie lächelt nur, beugt sich vor und tätschelt mir beschwichtigend den Arm.
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