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Heute schon geträumt

Heute schon geträumt

Titel: Heute schon geträumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Potter
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Nicht dass ich die letzten Jahre häufig dort gewesen wäre, aber an eine andere junge Frau mit langer, dunkler Lockenmähne kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Aber was ist mit dem Mädchen aus der Fish&-Chips-Bude? Nein, die hatte schulterlanges Haar und eine Dauerwelle. Und wenn sie in einer Fischbude arbeitet, was hat sie dann in West-London zu suchen?
    »Wir haben ihn verschrotten lassen.«
    Vor Schreck komme ich fast von der Straße ab.
    »Aber ich habe ihn doch hier in London gesehen.«
    »Das kann nicht sein, Schatz. Er hat keinen TÜV mehr bekommen, deshalb habe ich ihn an einen Schrotthändler verkauft. Das weiß ich noch ganz genau.«
    »Ich dachte, dein Gedächtnis sei das reinste Sieb«, halte ich ihm vor Augen.
    »Kann sein, dass ich ein schlechtes Gedächtnis habe, aber senil bin ich noch lange nicht«, knurrt er. »Ich habe ihn selber hingebracht.«
    »Jemand muss ihn repariert haben«, beharre ich.
    »Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er in der Schrottpresse gelandet ist.«
    Er klingt so überzeugt, dass ich einen Moment lang beinahe ins Schwanken gerate.
    »Aber das ist unmöglich«, halte ich dagegen.
    Und schon wieder stecken wir mitten in einem Streitgespräch. Dad irrt sich, will es aber wie üblich nicht zugeben.
    »Dad, du irrst dich.«
    »Nein, tue ich nicht. Du irrst dich.«
    Oh, Mann. Ich spüre, wie mich die gewohnte Ungeduld packt. Es ist immer dasselbe; stundenlange Dispute, ohne dass einer gewinnt, es sei denn -
    Plötzlich kommt mir etwas in den Sinn. Diesmal werde ich beweisen, dass ich Recht habe. Ich drücke aufs Gas, packe das Steuer und lege mitten auf der Straße eine Hundertachtzigradwendung hin.
    Ich werde dem VW einfach folgen.
    »Wahrscheinlich ist der Wagen längst zu Getränkedosen recycelt«, sagt mein Vater mit einem leisen Lachen.
    Verdammt.Wo ist der Käfer? Ein riesiger Laster blockiert mir die Sicht. Aber dann sehe ich ihn. Direkt vor mir. Etwas Orangefarbenes biegt in eine Seitenstraße ein. Ich hänge immer noch hinter dem Laster fest und krieche vorwärts, bis ich endlich …
    Ich blinke, überquere die Kreuzung und rase eine schmale Allee entlang. In letzter Sekunde sehe ich das Heck um eine Biegung verschwinden. Fluchend nehme ich die Verfolgung auf. Die Kreuzung ist nicht einsehbar, ich rase durch eine Eisenbahnunterführung und gelange auf eine Hauptstraße.
    Und da steht er, der Käfer, vor einem Fußgängerüberweg. Ich fahre hinter ihn, so dass ich das Kennzeichen klar und deutlich erkennen kann.
    »Siehst du, Dad, du irrst dich«, triumphiere ich. »MUG 403 P. Das ist mein altes Kennzeichen.«
    Ha! Das wird dir eine Lehre sein, Dad!, denke ich.
    Aber am anderen Ende der Leitung herrscht Stille.
    »Dad?« Stirnrunzelnd sehe ich aufs Display. Kein Empfang. Wie ärgerlich! Das passiert mir in letzter Zeit ständig.
    Ich nehme mir vor, den Handybetreiber anzurufen und mich zu beschweren. Ich lege das Handy in die Mittelkonsole und richte den Blick wieder auf den Käfer, der gerade losgefahren ist. Einen Moment lang überlege ich, ob ich umdrehen und zurückfahren soll, schließlich habe ich das Kennzeichen ja gesehen. Es muss also mein altes Auto sein. Eine andere Erklärung gibt es nicht.
    Andererseits bin ich ihm jetzt schon so weit gefolgt und neugierig, wer hinterm Steuer sitzt. Und wenn ich gegen Dad gewinnen will, werde ich handfeste Beweise brauchen. Ich hole meine Kamera aus dem Handschuhfach.
     Ein paar Minuten später fahren wir durch die baumbestandenen Straßen von Camden im nördlichen Teil von London. Die inzwischen teure Gegend war zu der Zeit, als ich nach London kam, ein durchaus erschwingliches Viertel. Damals bekam man für £ 50 pro Woche noch ein Zimmer, und ich teilte mir mit sechs anderen Leuten ein Reihenhaus in einer ruhigen Sackgasse hinter einer Kirche.
    Genau das hier war mein Nachhauseweg, stelle ich gerade fest und sehe zu, wie der Käfer in einen kleinen Kreisverkehr fährt, ohne zu blinken. Meine Güte, wer auch immer sie sein mag, dieses Mädchen ist eine entsetzliche Fahrerin. Sie benutzt den Blinker nicht. Und bremst auch nicht vor  den Bremsschwellen, bemerke ich leise fluchend, als sie vor mir herdüst. Also ehrlich! Wenn sie nicht aufpasst, ruiniert sie noch die Stoßdämpfer!
    Obwohl - genau damit habe ich das Auto so ruiniert.
    In diesem Moment biegen wir um eine Ecke, und unvermittelt taucht meine alte Straße vor mir auf. Es ist, als wäre ich in die Vergangenheit zurückkatapultiert worden:

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