Heute schon geträumt
alten Straße. Na und?
Sie dreht sich um.
Ich erstarre. Es ist, als hätte jemand ein zehn Tonnen schweres Gewicht auf mich fallen lassen.
Das kann doch nicht sein.
Das kann doch nicht -
Beim Anblick ihres Gesichts befinden sich meine Gedanken mit einem Mal im freien Fall.Was wie eine optische Täuschung ausgesehen hat, eine Kombination aus zu wenig Schlaf und zu viel Stress … aber jetzt …
Halt suchend greife ich nach einem Geländer hinter mir und kneife die Augen zusammen. Mein Gehirn fühlt sich an wie der kreisende Zeiger auf meinem Laptop, wenn ich zu viele Programme geöffnet habe und er kurz vorm Absturz steht. Denn das hier ist kein Missverständnis, keine Verwechslung mit einem Mädchen, das aussieht wie ich mit 21. Ich kenne dieses Mädchen - jeden ihrer 165 Zentimeter im Minirock, jede Locke, die mit Eyeliner umrandeten Augen, die Sonnenbräune.
Mit aufgerissenen Augen starre ich die Gestalt an.
Das bin ich!
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das Ganze jagt mir eine Riesenangst ein. Das hier passiert nicht wirklich! Das weiß ich ganz genau. Jede Faser meines vernünftigen 31-jährigen Ich weiß es. Ich weiß, dass es mich nur einmal gibt. Das ist eine unumstößliche Tatsache, gegen die nicht einmal Dad etwas einwenden könnte. Was bedeutet, dass ich Visionen habe. Halluzinationen. Ich verliere den Verstand.
Als die Tür von Nummer 39 zuschlägt und sie verschwunden ist, wende ich mich ab und haste mit laut klappernden Absätzen zu meinem Wagen zurück. Okay, Charlotte, ganz ruhig. Du wirst jetzt nach Hause fahren, eine Valium nehmen und dich ins Bett legen. Dich einmal richtig ausschlafen. Vielleicht nimmst du dir ja sogar morgen Vormittag frei, ruhst dich ein bisschen aus -
Mist!
Schon wieder ein Strafzettel! Mein Blick fällt auf das vertraute, in Folie verpackte Formular unter dem Scheibenwischer. Verdammt! Ich zerre es hervor und starre es wütend an. Das ist doch lächerlich. Ich war doch höchstens fünf Minuten weg. Ich reiße die Schutzfolie ab und überfliege die Daten.
Was? Mit klopfendem Herzen starre ich den Strafzettel an, während die Zahlen vor meinen Augen verschwimmen. 1997, 1997, 1997 …
Meine Hände zittern. Nein, das kann doch nicht sein, das ist einfach unmöglich …
Panisch lasse ich den Strafzettel fallen.Als er auf den Bürgersteig trudelt, springe ich in meinen Wagen, lasse den Motor aufheulen und schieße mit quietschenden Reifen davon. Ich muss hier weg. Und zwar schnell.
Kapitel 10
»Hi, Beatrice, hier ist Charlotte. Ich wollte nur sagen, dass ich krank bin.«
»Ach, du Ärmste.Was ist denn los?«
»Ich glaube, ich habe einen Gehirntumor.«
»Shhh.« Ich höre ein lautes Zischen und sehe, wie die Sprechstundenhilfe hinter dem großen Farn finster zu mir herüberstarrt. »Können Sie nicht lesen? Das hier ist eine Arztpraxis.Telefonieren ist verboten.«
Es ist der nächste Morgen. Ich sitze auf einem harten Plastikstuhl, umgeben von eselsohrigen Zeitschriften und kranken Menschen, und warte, bis mein Hausarzt mich aufruft. Gestern Abend habe ich eine Valium eingeworfen und muss sofort eingeschlafen sein, denn ich bin erst heute früh um sechs Uhr vollständig angezogen und auf dem Bett liegend wieder zu mir gekommen. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich leicht benommen, bis - zack - die Erinnerung an den Vorfall von gestern Abend zurückkehrte und ich auf einen Schlag hellwach war.
Und höchst besorgt.
Die Leute raten einem ja immer, eine Nacht über etwas zu schlafen, so dass man - rein theoretisch - wie durch ein Wunder am nächsten Morgen mit klarem Kopf und den Antworten auf sämtliche Fragen aufwacht. Aber ich habe darüber geschlafen, nur leider sind immer noch keine Antworten in Sicht; stattdessen wirbeln nur noch mehr Fragen in meinem Kopf herum. Also habe ich das einzig Richtige getan - ich habe meine Trainerstunde abgesagt.
Und habe mich vor Google gesetzt.
Das Stichwort »Halluzinationen« hat 936.000 Stichwörter ergeben, allesamt höchst besorgniserregend. Auf manchen Websites war von einer ernsten psychischen Erkrankung die Rede, andere diagnostizierten Gehirntumore und zeigten gruselige Fotos einer Frau mit geöffneter Schädeldecke. Aber damit nicht genug. Es gab tonnenweise Warnungen, Halluzinationen gingen häufig mit Kopfschmerzen, Müdigkeit und irrationalem Verhalten einher.
Beispielsweise die Verwandlung von einer vernünftigen Frau in den Dreißigern in eine durchgeknallte Stalkerin.
Oder etwas in
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