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Heute schon geträumt

Heute schon geträumt

Titel: Heute schon geträumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Potter
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hebt seine buschigen weißen Brauen und kritzelt etwas auf seinen Block. Ich recke den Hals, aber natürlich sind seine Notizen unleserlich. »Und wie kommen Sie darauf?«, fragt er, als unterhielten wir uns übers Wetter.
    Ich hole tief Luft, während meine Gedanken zum gestrigen Tag zurückkehren. »Ich habe Halluzinationen«, erkläre ich, sorgsam darauf bedacht, ruhig zu klingen.
    Er kritzelt weiter. »Können Sie sie mir beschreiben?«
    Ich hole tief Luft. »Ich habe mich selbst mit 21 gesehen.«
    Da - jetzt habe ich es gesagt.
    Statt mich mit weit aufgerissenen Augen anzustarren und die Armlehnen seines Stuhl zu umklammern, wie ich es erwartet hätte, entspannen sich Dr. Evans’ Züge, und er lächelt wehmütig. »Oh, das passiert uns ständig, wenn wir älter werden«, erklärt er fröhlich.
    Verwirrt sehe ich ihn an. »Ach ja?«
    »Allerdings.« Er nickt. »Ich verfalle so oft dem Irrglauben, wieder 21 zu sein - bis ich das nächste Mal in den Spiegel sehe.« Er lacht leise und streicht sich die dünnen grauen Haarsträhnen glatt.
    »Nein, Sie verstehen nicht«, sage ich. »Es war real.« Ich erzähle ihm alles. »Außerdem hatte ich fürchterliche Kopfschmerzen«, füge ich hinzu und presse mir die Hände gegen die Schläfen. »Entsetzliche, grauenhafte Kopfschmerzen.«
    Okay, so schlimm ist es nun auch wieder nicht, aber wenn man vor dem Arzt sitzt, muss man immer ein bisschen dicker auftragen.
    Dr. Evans hebt abrupt den Kopf und sieht mich an. Mit einem Mal scheint er doch besorgt zu sein. »So schlimm, dass Sie in einem abgedunkelten Raum liegen müssen?«
    Sehen Sie?
    »Na ja, nicht direkt …«
    »Übelkeit und Erbrechen?«
    Ich zögere. Ein wenig zu übertreiben ist eine Sache, eine glatte Lüge eine völlig andere.
    »Ehrlich gesagt geht es mir nach ein, zwei Anadin Extra meistens wieder gut.«
    Er kneift die Augen zusammen.
    »Aber manchmal muss ich auch drei nehmen«, füge ich hastig hinzu.
    »Miss Merryweather, ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
    »Okay.« Ich nicke und wappne mich innerlich.
    »Gibt es in Ihrer Familie Geisteskrankheiten?«
    »Na ja, Dad sagt manchmal, Mum treibt ihn in den Wahnsinn.« Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Das beim Anblick von Dr. Evans’ versteinerter Miene sofort wieder verschwindet. »Aber nein, abgesehen von Großtante Mary, die einen sprechenden Papagei hatte«, füge ich nach kurzem Überlegen hinzu.
    »Hatten Sie einen Krampfanfall?«
    Augenblicklich kommt mir der Tag letzte Woche in den Sinn, als ich meine Kreditkartenabrechnung aufgerissen habe, aber ich bin ziemlich sicher, dass das nicht zählt. »Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Nie.«
    »Gedächtnisverlust?«
    »Na ja, ich habe den Geburtstag meines Vaters vergessen«, räume ich ein und blicke auf meine Hände und das zerpflückte Taschentuch im Schoß. »Aber ich hatte sehr viel zu tun, deshalb ist es mir einfach entfallen.«
    Dr. Evans macht sich eine weitere Notiz. »Und wie viele Stunden verbringen Sie täglich im Büro?«
    »Äh, sechs. Nein, acht. Nein …« Ich versuche, die Stunden an den Fingern abzuzählen. »Sehr viele.«
    Wieder kritzelt er etwas. »Bekommen Sie täglich acht Stunden Schlaf?«
    »Bekommt das irgendjemand?«, frage ich erschöpft.Trotz des Zwölfstundenschlafs bin ich völlig erledigt.
    »Essen Sie drei anständige Mahlzeiten pro Tag?«
    Ich denke an mein Frühstück, das in der Regel aus Zeitmangel ausfällt, an meinen üblichen Lunch - meist irgendeine Kleinigkeit aus dem Supermarkt, von der ich höchstens ein paar Bissen essen kann. »Na ja, als anständig würde ich sie wohl nicht bezeichnen …«
    Es entsteht eine Pause. Dr. Evans legt seinen Stift beiseite, steht auf, nimmt sein Stethoskop und legt es mir auf die Brust. »Hmhm«, macht er leise, dann misst er meinen Blutdruck. »Hmhm«, macht er, dann nimmt er eine kleine Lampe und leuchtet mir damit in die Augen. »Hmhm.« Wortlos nimmt er wieder hinter seinem Schreibtisch Platz.
    Ich warte, wappne mich innerlich für die Diagnose. »Und, Herr Doktor?«
    »Genau, wie ich dachte.« Er nickt.
    »Ja?«, frage ich mit zittriger Stimme.
    »Sie leiden unter Stress.«
    »Das ist alles?« Ich starre ihn verblüfft an. »Aber im Internet habe ich gelesen -« Ich unterbreche mich, als er mir einen scharfen Blick zuwirft.
    »Stress ist eine sehr ernste Sache«, fährt er fort. »Ich rate Ihnen, sich mehr Erholung zu gönnen.Versuchen Sie, sich zu entspannen, essen Sie gesund, und reduzieren Sie Koffein

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