Heute schon geträumt
Sonnenschutz aus der Tasche, während ich den Drang niederkämpfe, sie zu packen und sie damit einzucremen, bis sie glänzt. »Bist du sicher, dass du nichts davon haben willst?« Ich drücke mir einen Klecks auf die Hand und massiere ihn ein.
»Sonnenschutzfaktor 45?«, fragt sie und sieht mich angewidert an. »Heiliger Strohsack, kein Wunder, dass du so käsig bist.«
»So käsig bin ich nun auch wieder nicht«, widerspreche ich und mustere meine verblassende Selbstbräuner-Farbe. »Außerdem sind Sonnenbäder extrem schädlich für die Haut. Sonnenbräune ist in Wahrheit nichts als Melanin«, zitiere ich einen der vielen Artikel über Hautpflege, den ich zu diesem Thema gelesen habe, »das die Haut selbst produziert, um sich zu schützen. Du könntest also sagen, deine Haut ist bereits geschädigt, wenn sie mit dieser starken Bräune darauf reagiert.« Ich bin einigermaßen beeindruckt, wie schlau ich klinge. Mir war gar nicht bewusst, wie viel man im Laufe seines Lebens lernt, aber mit 30 hat eine Frau so viel über Hautpflege, Kosmetikprodukte und Spiegel gelernt, dass sie Expertin in Sachen Schönheit ist.
»Na und?«, lacht sie.
Aber sie ist eben noch nicht 30. Meine jüngere Ausgabe ist 21. Und weiß absolut nichts. Ich habe keine Ahnung, welche horrenden Summen ich in den kommenden Jahren für all das Zeug ausgeben werde, wie viele Stunden ich darauf verwenden werde, Cremes einzuklopfen und Lotionen zu verteilen, um das zu bekommen, was ich heute habe und was ich als selbstverständlich erachte.
Frustration keimt in mir auf. Gott, war ich wirklich so naiv?
»Das sagst du jetzt«, beharre ich und verdränge jeden Gedanken an all die UVA- und UVB-Strahlen, die diesen pfirsichweichen, perfekten Teint attackieren und den Keim für die späteren Pigmentflecke säen, »aber wenn du erst mal über 30 bist, wirst du es bereuen.«
»Über 30? Gott, dann ist sowieso alles verloren«, erklärt sie und schlürft ihren Cider. »Dann bin ich alt.«
Ich zucke zusammen. »Über 30 ist nicht alt«, widerspreche ich verkniffen und greife nach meinem Saft. Eigentlich mag ich ihn ja nicht sonderlich gern, aber er ist eine wahre Vitamin-C-Bombe und ein hervorragender Antioxidantien-Lieferant. Ich nippe daran. Viel besser als Cider, der nichts als leere Kalorien zu bieten hat.
»Doch, ist es«, erklärt sie und erschaudert, als sei allein der Gedanke daran unerträglich. »30 ist uralt.«
Wie bitte?
Ich bin empört. Ich habe mich ja sehr um Geduld bemüht, aber das ist zu viel.Was für eine dämliche Kuh! Ich bin jünger als Kylie. Ich kaufe in den angesagtesten Läden ein. Und ich besitze nicht nur eine, sondern gleich zwei Röhrenjeans! Wie kann sie behaupten, ich sei uralt?
Weil du es früher dachtest, Charlotte, sagt die Stimme in meinem Kopf.
Plötzlich fällt mir eine Unterhaltung ein, die ich mit 21 geführt habe. Ich saß mit ein paar Freunden zusammen, und es ging um den Jahrtausendwechsel. Darum, wie alt wir dann alle wären. Als mir aufging, dass ich dann 25 wäre, war ich ziemlich entsetzt. Ich fand das so alt. Und die Vorstellung, dass einige Freunde dann über 30 wären - unglaublich! Ich kannte niemanden, der über 30 war, von meinen Eltern einmal abgesehen, und damit nicht genug: Leute über 30 fielen mir nicht auf. Sie waren unsichtbar.
So wie ich jetzt für sie unsichtbar bin, denke ich beim Anblick des Mädchens, das nur wenige Zentimeter neben mir sitzt und nicht die leiseste Ahnung hat, wer ich eigentlich bin.
Sie fängt meinen Blick auf und schlägt sich die Hand vor den Mund. »Oh, tut mir leid, ich wollte damit nicht sagen …« Ihre Stimme verklingt, und sie schneidet eine Grimasse. »Ich und meine große Klappe.«
»Schon gut, nicht so schlimm«, wiegle ich ab. »Ich wollte nur sagen …« Abwesend kratze ich mein Ekzem am Ellbogen. »Außerdem lässt es dein Ekzem aufblühen«, füge ich hinzu und ziehe mich noch weiter in den Schatten zurück.
Sie runzelt die Stirn. »Ich habe kein Ekzem.«
»Nein?«, frage ich verwirrt.
»Nein, wie kommst du darauf?«
»Oh, nur so«, erkläre ich eilig. »So etwas ist ziemlich verbreitet.« Ich überlege, wann ich mein erstes Ekzem hatte. Ich habe das Gefühl, als sei es eine halbe Ewigkeit her, aber wenn ich zurückdenke, ja, sie hat Recht - ich kann mich nicht daran erinnern, es in ihrem Alter gehabt zu haben. Das erste Mal ist es ausgebrochen, als ich riesigen Stress wegen der Deadline eines Kunden hatte.
»Wie spät ist es?« Ihre Stimme
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