Heute schon geträumt
heraus, die ich aus der Schale an der Bar genommen habe. Nun, da überall Rauchverbot herrscht, gibt es nicht mehr an jeder Ecke kostenlose Streichhölzer, dabei brauche ich welche, um meine Aromatherapiekerzen im Schlafzimmer anzuzünden. Ich reiche sie ihr.
»Danke.« Sie lächelt mich an und zündet sich die Zigarette an. Während sie einen langen Zug nimmt, schieben wir uns langsam in der Schlange vorwärts. »Meine Güte, das dauert ja wieder mal eine Ewigkeit«, stöhnt sie und lässt den Rauch durch die Nase entweichen. »Mein Freund glaubt am Ende noch, ich sei mit einem anderen durchgebrannt.« Sie beugt sich näher zu mir. »Na ja, eigentlich ist er noch gar nicht richtig mein Freund. Wir haben uns erst dreimal getroffen, aber ich bin jetzt schon total verliebt in ihn.« Sie strahlt mich an. »Er heißt Julian und wird mal Anwalt.«
Fasziniert lausche ich, wie sie mir, einer Wildfremden, von ihm vorschwärmt, wie Mädchen es machen, wenn sie verknallt sind und jedem, der es hören will oder auch nicht, erzählen müssen, wie glücklich sie sind und was für einen tollen Kerl sie an Land gezogen haben. Aber natürlich weiß ich all das längst, denn ich habe es ja vor langer Zeit schon gehört.
Trotzdem …
Als Vanessa weiterblubbert, wird mir auf einmal bewusst, wie sehr sie sich von der Frau unterscheidet, mit der ich erst vor wenigen Stunden am Tisch gesessen habe.
Sie lächelt verträumt und kichert. »Und vielleicht habe ich ja den Verstand verloren.«
Sie ist so aufgeregt, so voller Hoffnung und Pläne und Begeisterung über ihre neu gefundene Liebe, während die Vanessa vor ein paar Stunden noch todunglücklich, ja, beinahe resigniert war.
Ich sehe zu, wie sie ihre Puderdose zückt und knallroten Lippenstift, ihr Markenzeichen, aufträgt. Zwei perfekte Bögen auf der Oberlippe und ein beherzter Strich über die Unterlippe. Es ist einige Zeit her, seit ich sie das letzte Mal mit rotem Lippenstift gesehen habe. Ja, eigentlich trägt sie überhaupt kein Make-up mehr.
Aber es ist mehr als der fehlende Lippenstift - es ist, als hätte ich ein Foto in Farbe in der Hand, das mittlerweile zu einer Schwarzweißaufnahme verblasst ist.
»Schau mal, da ist eine Kabine frei«, sagt sie und zeigt auf eine unbesetzte Toilette, die ich noch gar nicht bemerkt habe.
»Oh … danke.«
Ich verschwinde auf der Toilette, während sie eine frische Schicht Wimperntusche aufträgt. Mit einem Mal bin ich schrecklich traurig. So vieles hat sich verändert, und zum ersten Mal wird mir bewusst, dass die Veränderung nicht unbedingt zum Positiven sein muss.
Kapitel 25
3 Uhr früh.
Bitte!!!
Ich habe mich auf ein Sofa in einer dunklen Ecke zurückgezogen und sehe zum x-ten Mal auf die Uhr. Ich fühle mich, als säße ich seit Stunden hier. Seit Tagen oder gar Wochen. Mir ist langweilig, ich bin müde, habe Kopfschmerzen, meine Füße tun weh, und ich will nach Hause.
Aber ich kann nicht. Ich muss hierbleiben und auf Lottie aufpassen, die irgendwann einmal von Wasser umgestiegen ist und sich jetzt mit kostenlosen Geburtstagsdrinks die Kante gibt. Ich habe völlig vergessen, wie hemmungslos ich früher Alkohol getrunken habe. Irgendwann mal habe ich sogar auf dem Tisch getanzt.
Und zwar mit hohen Schuhen. Keine Ahnung, wie ich das bewerkstelligt habe.
Ich massiere mir die Schläfen, während mein Blick wie der Suchscheinwerfer eines Leuchtturms durch den Club schweift, um zu verhindern, dass Lottie sich in irgendwelche Schwierigkeiten hineinmanövriert. Oder von einem Tisch fällt. In diesem Moment hört die Musik auf, und die Lichter gehen an.
Mein Herzschlag setzt eine Sekunde aus. Heißt das …? Hoffnung keimt in mir auf, als die Gäste zögernd die Tanzfläche verlassen und auf den Ausgang zusteuern. Ja, das heißt es! Am liebsten würde ich vor Dankbarkeit auf die Knie sinken und den Boden küssen. Das Wort »Erleichterung« trifft es nicht mal annähernd.
Halle-juhu-luja! Damit wäre dieser Abend geschafft!
Das war’s.
»Ah, Mist«, nuschelt Lottie frustriert, die mit verschwitztem Gesicht aus der Menge auftaucht. »Schon vorbei. So schnell.«
»Ich weiß. Eine Schande«, behaupte ich, schnappe meine Tasche und ziehe meine Jacke an. »Also, gehen wir.« Trotz meiner schmerzenden Füße steuere ich zielstrebig den Ausgang an.
Auf dem Gehsteig drängen sich die Leute und verabschieden sich.
»Moment, ich will unbedingt noch ein Foto machen, bevor alle verschwunden sind«, ruft Lottie, zieht eine
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