Heute schon geträumt
Sie packt mich am Handgelenk.
Na gut, eigentlich habe ich auch keine Lust, bei Olly an der Bar zu bleiben, nachdem ich herausgefunden habe, wer er in Wahrheit ist. Das ist so peinlich. Ich meine, was soll ich zu ihm sagen? Wieso hast du dich in so einen Blödmann verwandelt?
Klar. Super Spruch.
»Also gut«, gebe ich nach. »Aber nur für einen Song.« Aber sie hört nicht auf mich, sondern zerrt mich von meinem Barhocker. Und ehe ich mich’s versehe, werde ich auf die Tanzfläche geschleift.
Verdammt.
Es ist genauso wie im Traum, wenn man nackt durch die Innenstadt marschiert. Nur dass das hier kein Traum ist. Sondern ein beschissener Alptraum, fluche ich insgeheim und sehe mich hektisch nach einem Fluchtweg um, aber es gibt keinen. Ich stehe wie angewurzelt da, wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Oder sollte ich lieber Stroboskop sagen? Inmitten von zuckenden Gestalten und ohne Aussicht, mich irgendwo verkriechen zu können.
Oh Gott, das ist ja grauenhaft. Ich habe das Gefühl, als würden mich alle anstarren, als ich tief Luft hole und versuchsweise meine Füße bewege, aber es ist, als steckten sie in zentnerschweren Betongewichten. Meine Arme hingegen fühlen sich wie Fortsätze an, die nicht zu mir gehören. Unsicher wedle ich damit herum und lasse die Ellbogen wippen, als wäre ich ein Huhn. Großer Gott. Ich habe keine Ahnung, was ich hier eigentlich tue. Nur dass ich mich zum absoluten Vollidioten mache, das weiß ich.
Das Problem dabei ist, dass ich eine miserable Tänzerin bin. Manchen Leuten liegt der Rhythmus im Blut, anderen, so wie mir, eben nicht. Erinnern Sie sich an »The Rhythm’s Gonna Get You« von Gloria Estefan? Also mich hat er nie gefangen. Ich warte bis heute darauf, dass er über mich kommt. Ich bin wahrscheinlich die Einzige, die bei »We Will Rock You« im Wembley Stadium nicht im Takt klatschen konnte. Probieren Sie’s mal, es ist so gut wie unmöglich. Aber ich habe es trotzdem hingekriegt.
Aber all das scheint Lottie nicht im Mindesten zu kümmern. Sie schwenkt die Arme und hüpft herum, scheinbar ohne mitzubekommen, dass sie wie eine Ente aussieht. Und damit nicht genug - sie scheint so unbeeindruckt davon zu sein, dass auch den anderen ihr mangelndes Taktgefühl nicht auffällt.
Widerstrebend ziehe ich meine Jacke aus, schlinge sie mir um die Hüften und versuche, in die Knie zu gehen, wie sie es gerade tut. Das Problem ist nur, dass ich zehn Jahre älter bin und Mühe habe, wieder hochzukommen. Aua. Ein Schmerz schneidet sich in meinen Rücken. Was für ein Glück, dass ich meine Geburtstage nicht mehr auf diese Art feiern muss. Mag sein, dass mein Abend ein bisschen sehr früh vorbei war und Miles ärgerlicherweise auf dem Sofa eingeschlafen ist, aber ein netter, ruhiger Abend im Restaurant ist mir allemal lieber, als in einem stickig heißen Club eingesperrt zu sein und tanzen zu müssen. Erleichterung überkommt mich. Gott sei Dank, dass ich nicht mehr 21 bin.
Steif wie ein Brett stehe ich da, die Schultern gestrafft, den Kopf erhoben. Bis zu diesem Augenblick war die Musik eine Qual, die gezwungenermaßen an meine Ohren gedrungen ist. Aber nun höre ich vertraute Akkorde.
Moment. Ist das nicht …?
Ich lausche entzückt.
Oh Gott, es ist Ironic von Alanis Morissette. Den Song habe ich seit Jahren nicht mehr gehört. Oh, und dabei liebe ich ihn!
Neue Energie durchströmt mich, meine Hüften beginnen sich zu wiegen. Meine Taille. Meine Schultern. Gott, es ist so irre! Ich bewege mich zu den Gitarrenklängen. Ich kann nicht anders. Mein Körper will einfach nicht still bleiben. Wow, ich erinnere mich sogar an den Text! Ich wirble herum. Mein provisorischer Zopf löst sich, aber ich achte nicht darauf, sondern beginne mitzusingen. Zuerst leise, dann immer lauter.
Dann kommt der Refrain. Ich schließe die Augen, werfe die Arme hoch und brülle in voller Lautstärke den Text mit. In diesem Moment ist mein Kopf vollkommen leer. Nichts ist mehr wichtig, nur noch die Bewegung, das Tanzen. Mich in den Worten zu verlieren. Alle Sorgen und Zweifel hinter mir zu lassen, mich vollkommen gehen zu lassen.
Es ist unglaublich! Ich fühle mich wunderbar, geradezu euphorisch.
Jemand reibt sich an meinem Hintern.
Abrupt öffne ich die Augen, wirble herum und finde mich Lende an Lende mit einem Kerl in einem T-Shirt, das ungefähr vier Nummern zu klein ist, Ziegenbärtchen und Unterbiss. Der mich lüstern angrinst.
Oh nein.
Nein, nein, nein, bitte nicht.
Tanzend versuche ich,
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